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Theatermacher Matthias von HartzAuf dem Prüfstand

Vor geraumer Zeit entdeckte das Theater die Gesellschaftskritik neu. Matthias von Hartz ist einer, der daraus eine Marke machte, zuletzt in Hamburg, bald in Berlin.

Sommerfestival 2011: Piraten auf Kampnagel. Bild: dpa

Bekannt wurde er durch durch Vortrags- und Performance-Reihen wie "Go create resistance". Diese fand vier Abende lang unter seiner Leitung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg statt. Nicht in der Studiobühne, wie man es erwarten könnte, sondern zur besten Wochenendvorstellungszeit im Großen Haus. Die indische Soziologin Shalini Randeria sprach über Themen wie Entpolitisierung und Kommerzialisierung.

Jochen Roller erarbeitete ein Solo, an dem er zeigen wollte, wie aus Arbeit Kunst würde. Das schien weniger didaktisch angestrengt als angekündigt, wirkte eher verspielt und ironisch. "Vor jedem Abend gabs im Haus natürlich Tränen, weil klar war, da kommen weniger Zuschauer, von denen man auch nicht viel Eintritt verlangen kann", sagt Matthias von Hartz im Rückblick.

Kommt man mit dem schlaksigen Theatermacher, Jahrgang 1970, ins Gespräch, geht es schnell um zwei Dinge: darum, wie das Theater bestimmten Themen gerecht werden kann - und um die Affinität von Geld, Kunst und Innovation. Deren Verhältnis steht wieder auf dem Prüfstand, seit die überschuldeten Kommunen auch in diesem Jahr vielerorts die Kulturetats kürzen mussten.

An den Häusern der Stadttheater frisst die Infrastruktur - die Werkstätten, Probebühne, Techniker, die Verwaltung - den Großteil des Budgets. Dass für die Kunst am wenigsten übrig bleibt, ist eine Schieflage, die ihre Selbsterneuerung nicht leichter macht.

Arbeiten wie in der Fabrik

"90 Prozent der öffentlichen Gelder fließen ins Stadttheatersystem, aber nur 10 Prozent der Innovation stammen von dort. Man arbeitet wie in einer Fabrik, aber hat sehr enge Vorstellungen von dem Produkt", so beschreibt es von Hartz.

Um Antworten, wie es anders gehen könnte, ist er nicht verlegen: Ein großes deutsches Stadttheater müsste sich in ein Modellhaus verwandeln, anders strukturiert, anders organisiert.

Vorbild könne das Theater in Antwerpen sein, an dem neben Schauspielern auch andere Künstler interdisziplinär integriert seien. Vergleichbar mit einem freien Produktionshaus wie dem HAU in Berlin, aber übertragen auf ein deutsches Stadttheater mit finanziell komfortabler Ausstattung.

Er kennt die freie Szene

Es ist kein Zufall, dass er sich für diese Verschmelzung einsetzt. Als Regisseur hat er an Stadttheatern gearbeitet, als Festivalkurator kennt er die freie Szene gut.

Seit 2007 leitet er das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel und zusammen mit Tom Stromberg das "Impulse"-Festival. Das Antwerpener Modell hat Matthias von Hartz in diesem Sommer eher nebenbei in die Diskussion geworfen.

Es ist eine realistisch geerdete Möglichkeit, wie sich Theater umorganisieren könnte. Dass vielerorts immerhin Diskussionen in Gang gekommen seien, dass eine Reihe von Theatermachern in dem Sammelband "Heart of the City" laut über das Verhältnis der Städte zu ihren Theatern nachdenke, sei auch ein Schritt, um die Selbstbezüglichkeit zu lockern.

Um zu zeigen, was er mit Innovation meint, nimmt von Hartz einen mit zur Probe der Geheimagentur, einem Performance-Duo, das für das Kampnagel-Sommerfestival einen Abend über Piratentum recherchiert hat.

Echte Piraten

In Kenia wurden Gespräche mit ehemaligen somalischen Piraten geführt und die Ergebnisse mit den Ideen Hamburger Kinder gekreuzt, die in "Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches" mit auf der Bühne stehen.

Die ungewöhnliche Verschränkung bringe als Mehrwert den grundlegenden Konflikt vor Ort näher, so von Hartz, während man aus den Nachrichten vor allem die Forderung der Reeder nach mehr militärischem Schutz kenne.

Gelernt, politische Themen anders zu erzählen, habe er in den neunziger Jahren, als von Hartz zusammen mit Falk Richter, Nicolas Stemann, Sandra Strunz und Ute Rauwald in Hamburg Regie studierte.

Eigene Interessen

Man ging in Opposition zu Jürgen Flimm, der damals die Ausbildung leitete. Entscheidend wäre dann die Ermunterung anderer Regielehrer gewesen, eigene Interessen umzusetzen. Von Hartz begann Abende zu entwickeln, die Vorträge, Performances und Aktionen kombinierten. "Das bereitete immer Probleme, weil man sich rechtfertigen musste, ob das überhaupt Theater sei." Was er heute als Kurator versuche, ist einen Rahmen zu schaffen für das, was an anderer Stelle nicht möglich sei.

Ab 2013 übernimmt von Hartz nun bei den Berliner Festspielen die Programmschiene "spielzeiteuropa", die bisher internationale Produktionen mit prominenten Künstlern zeigte. Die Programmierung steht jetzt auf dem Prüfstand. Zwischen Experimenten à la Hartz und zugkräftigen Namen will ein neuer Weg gefunden werden.

"Wie zeitgemäß und sinnvoll ist es eigentlich, herumzureisen und das Größte einzusammeln? Das muss man sich schon fragen. Und wie zeigt man relevantere kleine Formate mit so viel Wertschätzung, dass das eine nicht als das Große und das andere nicht als das Kleine dasteht?" Matthias von Hartz wird es in Berlin zeigen.

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1 Kommentar

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  • M
    Müllmann

    Und warum soll der Ort für "Gesellschaftskritik" ausgerechnet das Theater sein, und nicht die Zeitungen, Gremien, Parteien, die Sozialarbeit oder Gesetzgebung - wäre das nicht sinnvoller dort? So sitzt nun das übliche "neugierige" linksliberal-wohlsituierte Bildungsbürgertum in den subventionierten Theatern, in denen ansonsten Jungschauspieler und Jungregisseure sich "künstlerisch" selbstverwirklichen, und lauscht der Geheimagentur und ihren Klonen und guckt sich die Sozialkritik an. Was soll das, was verändert es? Nichts. Aber es war sicher "spannend", und im Feuilleton kann man dann darüber schreiben.

     

    Da es nichts verändert und sich an die Klientel wendet, die sowieso schon grün/links wählt, könnte man doch auch ganz altmodisch Shakespearestücke spielen (nicht "modern adaptiert"), oder was von Schiller, (ist ja auch "sozialkritisch" gemeint gewesen, und damals sogar noch mit Wirkung), oder was, was auch andere Leute interessiert als die, die da jetzt immer hinrennen oder sich da selbstverwirklichen (mit einer "lecture performance").

     

    Theater ist ein staubiges, altes, künstlerisch, technisch und gesellschaftlich längst überholtes Medium. Wer unbedingt daran festhalten will, tut das aus Romantik und Nostalgie, aber nicht, weil er ein spezielles Interesse hat, die Gesellschaft zu verändern (da gäbe es nun wirklich effizientere Wege). Es ist das traditionelle Medium eines Bildungsbürgertums ("Wie, dein Neuer geht nie ins Theater?! Das finde ich niveaulos!"), und betrifft nur einen winzigen Anteil der Gesellschaft. Die andern würden es nicht mal mwerken, wenn es weg wäre, geschweige denn große Tränen vergießen. Aber lügt euch nur weiter in die Tasche.

     

    Ich hab ne Idee für ne ganz irre neue Performance/Vorstellung der Geheimagentur oder für VON Hartz: Das Publikum kommt rein, setzt sich hin, dann kommt ein SCHAUSPIELER auf die BÜHNE (OHO!) und sagt den Leuten ("Publikum involvieren", YES), sie sollen nun wieder aufstehen, und schickt sie einfach raus in die Realität! Realistischer und sozialkritischer, direkter und unverstellter gehts doch echt nicht! Und nur ein Schauspieler und kein hingerotztes "Bühnenbild", da spart man also auch noch. Why not? Wäre doch modern! Ich bewerb mich damit mal bei einem Theatertreffen. Nein?