Theatermacher Matthias von Hartz: Auf dem Prüfstand
Vor geraumer Zeit entdeckte das Theater die Gesellschaftskritik neu. Matthias von Hartz ist einer, der daraus eine Marke machte, zuletzt in Hamburg, bald in Berlin.
Bekannt wurde er durch durch Vortrags- und Performance-Reihen wie "Go create resistance". Diese fand vier Abende lang unter seiner Leitung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg statt. Nicht in der Studiobühne, wie man es erwarten könnte, sondern zur besten Wochenendvorstellungszeit im Großen Haus. Die indische Soziologin Shalini Randeria sprach über Themen wie Entpolitisierung und Kommerzialisierung.
Jochen Roller erarbeitete ein Solo, an dem er zeigen wollte, wie aus Arbeit Kunst würde. Das schien weniger didaktisch angestrengt als angekündigt, wirkte eher verspielt und ironisch. "Vor jedem Abend gabs im Haus natürlich Tränen, weil klar war, da kommen weniger Zuschauer, von denen man auch nicht viel Eintritt verlangen kann", sagt Matthias von Hartz im Rückblick.
Kommt man mit dem schlaksigen Theatermacher, Jahrgang 1970, ins Gespräch, geht es schnell um zwei Dinge: darum, wie das Theater bestimmten Themen gerecht werden kann - und um die Affinität von Geld, Kunst und Innovation. Deren Verhältnis steht wieder auf dem Prüfstand, seit die überschuldeten Kommunen auch in diesem Jahr vielerorts die Kulturetats kürzen mussten.
An den Häusern der Stadttheater frisst die Infrastruktur - die Werkstätten, Probebühne, Techniker, die Verwaltung - den Großteil des Budgets. Dass für die Kunst am wenigsten übrig bleibt, ist eine Schieflage, die ihre Selbsterneuerung nicht leichter macht.
Arbeiten wie in der Fabrik
"90 Prozent der öffentlichen Gelder fließen ins Stadttheatersystem, aber nur 10 Prozent der Innovation stammen von dort. Man arbeitet wie in einer Fabrik, aber hat sehr enge Vorstellungen von dem Produkt", so beschreibt es von Hartz.
Um Antworten, wie es anders gehen könnte, ist er nicht verlegen: Ein großes deutsches Stadttheater müsste sich in ein Modellhaus verwandeln, anders strukturiert, anders organisiert.
Vorbild könne das Theater in Antwerpen sein, an dem neben Schauspielern auch andere Künstler interdisziplinär integriert seien. Vergleichbar mit einem freien Produktionshaus wie dem HAU in Berlin, aber übertragen auf ein deutsches Stadttheater mit finanziell komfortabler Ausstattung.
Er kennt die freie Szene
Es ist kein Zufall, dass er sich für diese Verschmelzung einsetzt. Als Regisseur hat er an Stadttheatern gearbeitet, als Festivalkurator kennt er die freie Szene gut.
Seit 2007 leitet er das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel und zusammen mit Tom Stromberg das "Impulse"-Festival. Das Antwerpener Modell hat Matthias von Hartz in diesem Sommer eher nebenbei in die Diskussion geworfen.
Es ist eine realistisch geerdete Möglichkeit, wie sich Theater umorganisieren könnte. Dass vielerorts immerhin Diskussionen in Gang gekommen seien, dass eine Reihe von Theatermachern in dem Sammelband "Heart of the City" laut über das Verhältnis der Städte zu ihren Theatern nachdenke, sei auch ein Schritt, um die Selbstbezüglichkeit zu lockern.
Um zu zeigen, was er mit Innovation meint, nimmt von Hartz einen mit zur Probe der Geheimagentur, einem Performance-Duo, das für das Kampnagel-Sommerfestival einen Abend über Piratentum recherchiert hat.
Echte Piraten
In Kenia wurden Gespräche mit ehemaligen somalischen Piraten geführt und die Ergebnisse mit den Ideen Hamburger Kinder gekreuzt, die in "Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches" mit auf der Bühne stehen.
Die ungewöhnliche Verschränkung bringe als Mehrwert den grundlegenden Konflikt vor Ort näher, so von Hartz, während man aus den Nachrichten vor allem die Forderung der Reeder nach mehr militärischem Schutz kenne.
Gelernt, politische Themen anders zu erzählen, habe er in den neunziger Jahren, als von Hartz zusammen mit Falk Richter, Nicolas Stemann, Sandra Strunz und Ute Rauwald in Hamburg Regie studierte.
Eigene Interessen
Man ging in Opposition zu Jürgen Flimm, der damals die Ausbildung leitete. Entscheidend wäre dann die Ermunterung anderer Regielehrer gewesen, eigene Interessen umzusetzen. Von Hartz begann Abende zu entwickeln, die Vorträge, Performances und Aktionen kombinierten. "Das bereitete immer Probleme, weil man sich rechtfertigen musste, ob das überhaupt Theater sei." Was er heute als Kurator versuche, ist einen Rahmen zu schaffen für das, was an anderer Stelle nicht möglich sei.
Ab 2013 übernimmt von Hartz nun bei den Berliner Festspielen die Programmschiene "spielzeiteuropa", die bisher internationale Produktionen mit prominenten Künstlern zeigte. Die Programmierung steht jetzt auf dem Prüfstand. Zwischen Experimenten à la Hartz und zugkräftigen Namen will ein neuer Weg gefunden werden.
"Wie zeitgemäß und sinnvoll ist es eigentlich, herumzureisen und das Größte einzusammeln? Das muss man sich schon fragen. Und wie zeigt man relevantere kleine Formate mit so viel Wertschätzung, dass das eine nicht als das Große und das andere nicht als das Kleine dasteht?" Matthias von Hartz wird es in Berlin zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“