Theaterfestival Kaltstart: Auf wackligen Beinen

An Leidenschaft mangelt es dem Theaternachwuchs durchweg nicht, aber die qualitativen Unterschiede sind enorm. Zu sehen ist das derzeit auf dem Hamburger Theaterfestival Kaltstart.

Klassische Selbstbespiegelung: In der Performance "Dont Cry - Work!" erzählen drei junge Frauen vom Leben im Kulturprekariat. Bild: Klaus Irler

HAMBURG taz | Die Liebe wird in den Stücken des Hamburger Kaltstart-Festivals selten thematisiert, und doch spielt sie bei jeder Aufführung eine Rolle. Sie wird immer dann sichtbar, wenn das Stück gelaufen ist und sich die Akteure den Schlussapplaus abholen. Egal, wie viele Zuschauer gekommen sind, man kann die Liebe in den euphorischen Gesichtern der SchauspielerInnen sehen. Es ist die Liebe zum Theater, die in diesem Moment stärker ist als der Gedanke daran, dass kaum Zuschauer gekommen sind und man mal wieder kein Geld bekommt für das, was man tut.

Es ist eine ambivalente Liebe, die man auf diesem Theaterfestival noch bis zum 2. Juli erleben kann: Einerseits ist die Liebe frisch und leidenschaftlich, andererseits wissen alle Beteiligten, dass sie auf wackligen Beinen steht. Denn das Kaltstart-Festival ist ein Nachwuchsfestival für Theaterschaffende, die sich an der Schwelle zur Professionalität befinden.

Manche der aus dem Bundesgebiet und Österreich angereisten Akteure haben den Sprung in ein staatlich finanziertes Theater geschafft und sind dabei, Erfahrung zu sammeln. Manche wollen frei arbeiten und sind dabei, sich zu etablieren. Manche wissen schon, dass aus der Geschichte mit ihnen und dem Theater etwas wird, und manche wissen es noch nicht. Für sie ist das Kaltstart-Festival die Gelegenheit herauszufinden, ob ihre Liebe fürs Theater eine Einbahnstraße ist - oder ob sie zurückgeliebt werden vom Publikum, den Kritikern, den anderen Theatermachern.

Das Kaltstart-Festival ist aus einer Fusion von fünf kleinen Nachwuchs-Theaterfestivals hervorgegangen. Sie wurden als Festival-Sparten integriert.

Die Sparte Kaltstart-Pro bringt 29 Produktionen junger Akteure staatlich finanzierter Theater.

Fringe versammelt 20 experimentelle Produktionen der Off-Szene.

Finale präsentiert 19 Studien und Abschlussarbeiten der Theaterakademie Hamburg.

Youngstar bringt drei Jugendprojekte, darunter die Tanzshow einer 8. Klasse aus Hamburg-Wilhelmsburg (Sonntag, 26. 6., 18 Uhr, Bar Rossi).

Die Autorenlounge ist ein Forum für junge DramatikerInnen.

Rund 70 Produktionen sind auf dem diesjährigen Hamburger Kaltstart-Festival zu sehen, unterteilt in die Programmsparten Kaltstart-Pro, Finale, Fringe, Youngstar und Autorenlounge. Der zentrale Aufführungsort ist das Haus 73 im Hamburger Schanzenviertel, daneben gibt es sieben weitere Veranstaltungshäuser sowie diverse Open-Air-Spielstätten.

Während bei Kaltstart-Pro kleine Produktionen aus Häusern wie dem Schauspiel Hannover, den Kammerspielen Wiesbaden oder dem Theater Aachen laufen, gibt es bei Fringe Off-Produktionen freier Gruppen. Die Qualitätsunterschiede sind zum Teil enorm, die Bedingungen aber sind für alle gleich mies: Keine der Gruppen bekommt eine Gage, bezahlt werden lediglich die Anreise sowie Verpflegung und Unterbringung. Ferner ist der Aufwand für Bühnenbild und Technik bei allen Produktionen begrenzt - in der Leitungsriege des Festivals spricht man von "Theater unplugged".

Bei der Hamburger Gruppe "No Budget" beispielsweise steht lediglich ein Tisch mit Akten auf der Bühne des Foolsgarden Theaters, nichts weiter. Gegeben wird das Stück "Die Haarmann-Protokolle": Aus den Protokollen der Gespräche zwischen dem hannoverschen Serienmörder Fritz Haarmann und dem Gerichtspsychologen aus dem Jahr 1924 hat die Gruppe ein Zwei-Personen-Stück zusammengebastelt.

Dieser Abend ist ein Beispiel für eine Entdeckung, die man als Zuschauer beim Kaltstart-Festival machen kann: "Die Haarmann-Protokolle" verlassen sich völlig zu Recht ganz auf die beiden Schauspieler Claus-Peter Ratjen und Viola Neumann - wobei letztere den Serienmörder Haarmann spielt.

Stark vertreten ist auf dem Festival aber auch das Experimentieren mit Formen, und das birgt einige Risiken. "Ich, Georg Büchner" beispielsweise ist ein Versuch des Münchners Ludo Vici, einen Monolog aus Büchner-Texten zu kombinieren mit den Formaten Rockkonzert und Deutschunterricht. Davon hat niemand etwas, zumal die Idee, ein heutiger Büchner würde Rockmusik machen, doch einigermaßen langweilig ist.

Fern jeder Klassiker-Bearbeitung aber dennoch schon wieder klassisch in ihrer Selbstbespiegelung ist die Performance "Dont Cry - Work!" der Berliner Gruppe 000A. Drei junge Frauen sitzen hinter ihren Laptops und erzählen sich und dem Publikum ihre Erwerbsbiographie im Kulturbereich, die aus unbezahlten Praktika, unterbezahlten Engagements, viel Suchbewegung und wenig Anerkennung besteht. Fiese Relevanz bekommt die Klage durch den Blick in den Zuschauerraum: Abzüglich der beteiligten oder bekannten Personen ist an diesem frühen Dienstagabend in der Bernsteinbar exakt eine Zuschauerin auszumachen.

Dass den Schauspielerinnen die Laune trotzdem nicht vergeht, mag auch daran liegen, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Das Kaltstart-Festival sei ein Nachwuchsfestival, das gerade nicht für die bereits gehypten Top-Leute gedacht sei, sagt Festivalleiter Falk Hocquél. Es gehe vielmehr um diejenigen, die bislang nicht im Fokus der Aufmerksamkeit standen.

"Für die Mitwirkenden ist das Festival eine Chance, Kollegen zu treffen und Publikum, aber auch von jemandem gesehen zu werden, der sie engagiert", sagt Hocquél. Die Intendantin der Theaterfabrik Kampnagel, Amelie Deufelhard, sei beispielsweise schon gesichtet worden.

Hocquél spricht gerne von einem Sprungbrett, das das Festival sei. Das Bild passt nur eingedenk der Tatsache, dass so ein Sprungbrett-Sprung zwar nach oben zielt, die Möglichkeit einer Bauchlandung aber keineswegs ausgeschlossen ist.

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