: Theater draußen vor der Tür
■ „Angst vor dem Pogrom“ - ein besonderer Stadtrundgang Von Birgit Maaß
Hamburg im 17. Jahrhundert: Auf den Plätzen bieten Marketenderinnen ihre Ware feil, Pfeffersäcke feilschen mit Kapitänen um die nächste Schiffsladung, an der Börse wird spekuliert. Die Macht der Hanse schwindet, die der Zünfte jedoch ist ungebrochen. 1684 geschah hier ein Verbrechen, das viel Aufsehen erregte: Der Mord an einem Juden, Chaim von Hameln. Die neue Produktion des Thalia-Treffpunkts nähert sich diesem historischen Stoff auf eine besondere Art. „Angst vor dem Pogrom“ ist Theater vor der Tür – unter Brücken, an Fleeten und auf weiten Plätzen, mitten in der Hamburger Altstadt.
Dort, wo damals viele Juden lebten, zwischen Trostbrücke und Großneumarkt, wird die Geschichte erzählt, die auch ein Stück Hamburger Geschichte ist. Die ZuschauerIn folgt dem Troß Laien-Schauspieler – es sind immerhin 30 – zu den wenigen noch erhaltenen Originalschauplätzen. Davon lebt das Stück, wird zum alternativen Stadtrundgang im besten Sinne. Vor der Nikolaikirche tragen die ehrbaren Bürger der Stadt ihre Beschwerden gegen die zwielichtigen jüdischen (Nicht-)Mitbürger vor, verhandelt der Senat über die Frage, ob Juden in der Stadt leben dürfen: „Juden gehören ans Millerntor, nicht ans Dammtor.“ Am Kleinen Michel erinnert der Pastor an die Worte Luthers, „der uns wohl gewarnt hat vor den Jüden und ihren Lügen“. Da wird die Dialektik des Christentums entlarvt, die Aktionen gegen Juden als ein Gebot der christlichen Liebe auslegte – schließlich könnten sie nur auf diese Weise am Ende zum richtigen Glauben finden. Ein „blutroter Gesell“ verbindet die Szenen und verweist auf die unheilvolle Entwicklung bis ins „Dritte Reich“.
Bei so viel Authentizität sieht man gerne über einige Klischees hinweg („Ich bin sauber, ordentlich, fleißig – deutsch. Ich habe nichts gegen Juden, aber...“). Die lose Szenenfolge läßt der ZuschauerIn viel Raum, die Gegensätze zwischen der mittelalterlichen Enge der Handlung und dem Stilmix von moderner und „echt alter“ Architektur auf sich wirken zu lassen. Wenn die einsame Ruferin vor dem Steigenberger Hotel-Palast klagt: „Mein Mann ist tot, will das denn niemand hören?“, und tatsächlich ein paar Passanten stehenbleiben, eröffnet sich ein neuer Blick auf die altvertraute Umgebung. Ein weiteres Highlight ist die jiddische Musik mit Gesang, Geige und Akkordeon.
Erika Hirsch von der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule hatte die Idee zu diesem Stück. Schon seit längerem baut sie die Geschichte in ihre Stadtteilrundgänge mit ein. Der Inszenierung von Christiane Richers dienten als Textgrundlage die „Denkwürdigkeiten“ der Glücke von Hameln, die Aufzeichnungen der Ehefrau des Ermordeten, die den Mörder vor Gericht brachte. Auf dem Großneumarkt wird dem Christen der Prozeß gemacht. Das Volk ist zwiegespalten: Einerseits lauert es auf eine spannende Hinrichtung, weil die letzte, bei der das Blut so richtig schön weit gespritzt ist, nun auch schon eine Weile zurückliegt. Andererseits will man eigentlich nicht den überführten Mörder, sondern die jüdische Ehefrau, die „Heuchlerin“, gerädert und gevierteilt sehen. Aber in diesem Fall siegt die Gerechtigkeit. Was für die Juden bleibt: Die Angst vor der Entladung des Volkszornes, die Angst vor dem Pogrom.
Weitere Vorstellungen am 2. und 3. Juli, jeweils 20 Uhr; Karten unter Tel.: 32 26 66. Eine zusätzliche Aufführung gibt es am 6. Juli, 19 Uhr, bei Jugend kulturell, Alter Wall 22; Reservierungen unter Tel.: 36 92-24 65.
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