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Archiv-Artikel

Theater beim Frisör

Inflationäre Ironie

In Kreuzberg 36 geht vieles durcheinander. Kulturen beispielsweise. Oder auch Dienstleistungen. Oder gleich beides. Semra Kader nutzt im November ihren Friseursalon Cut & Go Kreuzberg nicht nur zum Haareschneiden, sondern auch um Theater zu spielen. Regisseurin Karen Witthuhn spart sich Theaterraum und Bühnenbild durch Semras Friseursalon.

Am Mittwoch ging’s los. Eine Stunde lang saßen wir Kunden/Zuschauer auf grellroten Plastikhockern, süffelten schwarzen Tee, verstreuten Pistazienschalen und erfreuten uns an äußerst amüsantem Multikulti-Trashtheater über türkische Hochzeiten und deutsche Kommissare, über Liebe und Familie, auf Türkisch, Deutsch und Schwäbisch, mit viel Körpereinsatz und noch mehr coolen Handys.

Metin aus dem Stück finanziert seine kühnen Projekte über seinen Cousin Murat, der dusslig genug ist, sich einer anständigen Bürotätigkeit hinzugeben. Dass dabei so viel Geld und Glück herauskommt, ist zwar unrealistisch (und das gesamte Stück lebt vom inflationären Gebrauch ironisierter Klischees). Aber die Herangehensweise ist typisch Berlin.

Es gibt wenig Geld hier. Künstler haben es schwer, Selbstständige auch. Gut ist es deshalb, sich zu vernetzen, bestehende Strukturen zu nutzen und möglichst viele Fähigkeiten kostenpflichtig unters Volk zu werfen. Insofern halten sich Semra Kader und Karen Witthuhn gegenseitig über Wasser: Nach der Kunst gibt’s Haarewaschen für drei oder eine Rasur für vier Euro. Semra erweckt Witthuhns kitschig-böse Sprache zum Leben, sagt, ihr Mann wolle sie heiraten, wenn der erste rote Schnee falle. Später frisiert sie Witthuhns Publikum zu türkischem Pop und rot leuchtender Discokugel.

CORNELIA GELLRICH