Theater aktuell: Beate Zschäpes Lieblingsspeise
Flüchtlingsdebatte und NSU – mit scharfem politischem Akzent startet das Staatstheater Braunschweig in die Schauspielsaison, und verliert sich doch im Ungefähren.
BRAUNSCHWEIG taz | Mit zwei Produktionen, die sich mit der unmittelbaren Zeitgeschichte beschäftigen, hat das Staatstheater Braunschweig die Schauspielsaison eröffnet – und ist damit in der gesellschaftlichen Gegenwart angekommen. Während sich „Unter drei“ von Mareike Mikat dem NSU-Terror widmet, hat „Apathisch für Anfänger“ von Jonas Hassen Khemiri die europäische Asylpolitik zum Thema – an einem schwedischen Beispiel.
Mitte der Nuller Jahre verfallen dort zahlreiche Kinder aus von Abschiebung bedrohten Flüchtlingsfamilien in Apathie, verlieren den Kontakt zur Außenwelt und verweigern die Nahrungsaufnahme. Eine Protestbewegung setzt sich dafür ein, den Betroffenen die Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Den Unterstellungen, die Kinder würden simulieren oder ihre Eltern hätten sie vergiftet, folgt allerdings ganz im Gegenteil die zwangsweise Abschiebung.
Der Journalist Gellert Tamas veröffentlichte einige Jahre später ein Buch, in dem er versuchte, die Geschehnisse zu beleuchten. Nur, um im Laufe der Recherche festzustellen, dass er an die Grenzen dessen stieß, was man Objektivität nennt: „Das, was wir unter Erinnerungen verstehen, das Erlebte, das Geschehene und Gehörte, kann sich im Laufe der Zeit mit Ereignissen verbinden, die wir nur aus Berichten oder von Bildern kennen. Der Ort, wo die Erinnerung beginnt und die Wirklichkeit endet, lässt sich als ein fließendes, trügerisches Grenzland beschreiben.“
Die deutschsprachige Erstaufführung von „Apathisch für Anfänger“ von Jonas Hassen Khemiri im Kleinen Haus setzt da an, wo Tamas aufhört. Man könnte nun das hervorragende Ensemble loben. Und das originelle, flexible, intelligente Bühnenbild. Die tolle Lichttechnik. Die geschickte Dramaturgie. Und ja, wir haben gelacht über witzige Regieeinfälle. Haben uns amüsiert über die musikalischen Einlagen und – trotzdem bleibt am Ende Ratlosigkeit.
Die gewollt sein wird, bedenkt man Tamas’ Vorgabe: So verwundert es nicht, dass Mina Salehpour, die das Stück inszeniert hat, davon spricht, dass es „die totale Verneinung der objektiven Wahrheit sei“. Nun darf man aber auch angesichts der aktuellen Asyldebatte fragen, ob das Beispiel, an dem diese Subjektivität der Wahrnehmung und die Manipulierbarkeit der Erinnerungen durchexerziert wird, wirklich so klug gewählt ist.
Wenige Tage später, am 15. September, feierte „Unter drei“ in Braunschweig Premiere – eine Offtheater Produktion aus Berlin, wo die Uraufführung im Ballhaus Ost Ende Juni überraschend wenig Echo gefunden hatte. Das Staatstheater zeigt es auf der Experimentierbühne der Hausbar. Auch dieses Stück basiert auf wahren Begebenheiten: nämlich auf der Mordserie des rechtsextremen NSU.
Erinnern wir uns: Weder die mediale Öffentlichkeit, noch die Polizei erkannte damals die rassistischen Motive hinter den Morden. Stattdessen wurde eine Soko Bosporus gebildet, deren Name das Ziel der Ermittlungen eindeutig vorgab. Die Mörder suchte man nicht unter Deutschen, sondern ausschließlich in der Community der Opfer.
Kriminelle Banden kämpfen um die Vorherrschaft in der türkischen Parallelgesellschaft, so lautete die „Wahrheit“ der deutschen Polizei und der involvierten Geheimdienste. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt brachten sich schließlich um, während Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Brand steckte – wohl um Beweise zu vernichten und damit die „Wahrheitsfindung“ zu verhindern.
Mareike Mikat schafft ironische Distanz durch den Einsatz von Schattenspielen, die Verwendung einheitlicher Kostüme und, indem sie Beate Zschäpe von einem Mann, Andrej Kaminsky, die beiden Uwes aber von Eva Bay und Gina Henkel spielen lässt. Ihr Stück setzt sich dabei nicht nur mit der NSU und dem Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden auseinander, sondern auch mit unseren Vorstellungen von dem „Terror-Trio“: Was wissen wir von ihnen? Was glauben wir, von ihnen zu wissen? Und was interessiert uns an ihnen wirklich? Wer wann mit wem schlief? Ob die drei eine schwere Kindheit in der DDR hatten, in der sie Kinderlieder über Volkspolizisten auswendig lernten? Und wer interessiert uns eigentlich mehr? Die Ermordeten oder die Mörder?
Die Antwort ist klar: „Man kennt Jack the Ripper, aber nicht seine Opfer“, weiß auch Mareike Mikat. Was ja nicht verwundern kann, denn die Mordopfer waren ganz „normale“ Menschen. Vielleicht um Vorwürfe zu umgehen, sie sei zu sehr auf die Täter fixiert gewesen, lässt Mikat deswegen aber auch die Toten zu Wort kommen.
Dabei wäre weniger mehr gewesen: Die stärksten Passagen des Stücks sind die, in denen wir etwas über die Terroristen selbst erfahren – ihre Versuche, ein normales Leben inklusive Liebesbeziehungen, Lieblingsspeise und Sommerurlaub auf Fehmarn zu führen. Und über ihre Bemühungen, eine Begründung für ihre Taten zu finden. Hier hätte man vertiefen können: Denn warum konnte das Trio jahrelang unentdeckt bleiben? Warum haben nicht nur die Sicherheitsbehörden, sondern auch die Nachbarn nichts bemerkt?
Schon eine oberflächliche Recherche zeigt, wie nah einige der Nachbarn den Nazis waren – auch in ihren kulturellen Vorlieben und ideologischen Vorstellungen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Mitglieder des NSU als Vollstrecker der Ideen ihres sozialen Umfeldes und natürlich auch ihres weitverzweigten Unterstützernetzes wähnen konnten. Und damit als politische Aktivisten, die das ausführten, wozu Gleichgesinnten wohl nur die Konsequenz fehlt.
Dass am Ende des Stückes gefragt wird, wie auf die Morde zu reagieren sei – mit Vergebung oder mit Rache – geht am eigentlichen Problem vorbei. Die eigentliche Frage ist doch die, wie weitere rassistische Gewalttaten zu verhindern sind.
Sowohl „Apathisch für Anfänger“ als „Unter drei“ zeigen die Undurchschaubarkeit der Welt auf. Und drohen genau daran zu scheitern. Denn Theater kann Fragen stellen – aber es sollte auch Ansätze für mögliche Antworten suchen. Es mag sein, dass es keine objektive Wahrheit gibt – aber sich der Suche nach ihr deshalb zu verweigern, reicht für Theater nicht aus.
Apathisch : 22. 9., 18 Uhr, sowie 10. & 18. 10, 19.30 Uhr Unter drei: 29. 9., 8. & 20. 10. jeweils 20 Uhr
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