: The Great Investitions Swindle
Ohne Zukunft: Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin bilanziert den Bremer Weg der Haushaltssanierung
Bremen taz ■ Die Katze lässt man erst am Abend aus dem Sack. Beim Hochschul-Kongress „Sanierung Bremens 1993-2004“ übernahm das der Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD). Er trug die Bilanz der Bremer Sanierungspolitik aus hauptstädtischer Außensicht vor. Sein Bremer Amtsbruder Ulrich Nußbaum (parteilos) schien zu ahnen, was da kommen würde: Schon kurz nach seinem Grußwort war er von dannen geeilt. Die Auseinandersetzung mit Sarrazin überließ er einem Fachbeamten.
Womit er ein gutes Gespür bewies. Denn aus Berliner Sicht ist die Bremer Sanierungsbilanz tatsächlich ein einziger Flopp. Sarrazins Resümee: „Die Sanierungshilfen sind spurlos verschwunden.“ Die Zahlen dazu: 8,6 Milliarden Euro Schulden hatte Bremen 1993, heute sind es fast 12 Milliarden – trotz 8,5 Milliarden Sanierungshilfe. Und trotz seiner gewaltigen Investitionen, so Sarrazin, liege Bremen beim Wirtschaftswachstum keineswegs über dem Bundesdurchschnitt. Die „Primärausgaben pro Kopf“ seien wie im Bundesdurchschnitt pro Jahr um ein Prozent gestiegen, Fazit: „Bremen hat auch nicht mehr gespart als andere Länder.“Allerdings seien deren Einnahmen durchschnittlich um zehn Prozent gestiegen, während sie hierzulande um fast zehn Prozent sanken. Also habe sich die Bremer Investitionsstrategie „nicht positiv auf die Einnahmen ausgewirkt“.
Der langjährige Bremer Finanzstaatsrat Günter Dannemann räumte ein, dass die Zahlen stimmen, man müsse sie nur anders interpretieren. So seien die Prognosen zu Beginn der Sanierungshilfe gemeinsam mit dem Bund vorgelegt worden, die Einnahmen hätten sich nicht entwickelt wie geplant. Sarrazin konterte: Wer dann nicht die Ausgaben kürze, handele verantwortungslos. Dannemann wandte ein, man habe durch das Investitionssonderprogramm doch 30.000 Arbeitsplätze geschaffen, ohne die sich die Lage noch schlechter darstellen würde. Was Sarrazin bezweifelte, denn die meisten öffentlichen Investitionen seien „nicht zinstragend. Das Wort ist daher irreführend“. Kein Widerspruch jedoch gegen Dannemanns Hinweis darauf, dass per Steuerverteilung 90 Prozent der Mehreinnahmen eines Landes in den großen Topf des Bundes und der anderen Länder fließen. Nur zog Sarrazin daraus den Schluss, dass das Land Bremen eben deshalb „nicht lebensfähig“ sei. Denn an dem Länderfinanzausgleich sei in den nächsten zehn Jahren schwer zu rütteln.
Das hat Bremen auch nicht versucht. So hat Hartmut Perschau (CDU) in seiner Zeit als Bremer Finanzsenator gar nicht in Berlin verhandelt. Weder in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes noch in den Berliner Haushaltsberatungen gab es jemals einen Ausgabenansatz für Bremen. Dennoch buchte Bremen im Haushaltsplan 2005 satte 510 Millionen Euro „Einnahmen“, als das strukturelle Defizit so groß wurde. Nichts mit diesem Problem zu tun haben die seit einigen Monaten stockenden Gespräche über einmalige Investitions-Zulagen für Bremen in den Jahren 2005 und 2006.
Sarrazin machte auch deutlich, warum der Bund Bremens Forderung einer nachhaltigen Hilfe gar nicht erfüllen kann: Mehreren Bundesländern droht eine vergleichbare Haushaltsnotlage. Die Freundlichkeiten gegenüber Bremen würden von diesen höchst aufmerksam beobachtet, so Sarrazin. Und der „Kanzlerbrief“? Das Wort fiel in der gesamten Debatte nicht. Auf diese Placebo-Pille hatte selbst Nußbaums Grußwort klug verzichtet.
Klaus Wolschner