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Archiv-Artikel

daumenkino The Gathering

Große Augen

So kann es gehen: Ein argloses Pärchen unternimmt einen Hügelspaziergang und plumpst dabei in das Innere einer seit Jahrhunderten verschütteten Kirche. Eine amerikanische Rucksacktouristin übersieht beim Überqueren einer britischen Landstraße ein Auto und wird von selbigem erfasst. Und ein kleiner, verstörter Junge hat Angst vor Gespenstern und findet deshalb nachts keinen Schlaf.

Damit das alles zusammenpasst, ist der Junge der Stiefsohn der Autofahrerin, die wiederum die Gattin des Wissenschaftlers ist, der die verschüttete Kirche untersucht. Die Rucksacktouristin ist vor allen Dingen Christina Ricci, die als Cassie Grant zwar beim Unfall ihr Gedächtnis verlor, sich dafür aber mit dem verstörten Jungen prächtig versteht. Aber was ist mit der Kirche?

Sie birgt beunruhigenderweise einen Altar, der sich in Anordnung und Aufbau deutlich von herkömmlichen Altaren unterscheidet. Denn entgegen christlicher Gepflogenheiten zeigt er den Christus mit dem Rücken zum Betrachter am Kreuz, während man vor ihm eine Menschenmenge sieht, die sich glotzenderweise an seinem Leid ergötzt. Und so wie die steinerne Menschenmenge starr Richtung Christus glotzt, so glotzt es auch bald an allen anderen Ecken und Enden dieses Film, was Christina Ricci, die ebenfalls wie für das Glotzen geschaffen scheint, zum Anlass nimmt, die verworrene Filmhandlung mit großen Augen zu durchqueren – nicht sehend, welch schreckliche Geheimnisse das Drehbuch noch für sie bereithalten mag.

Weil diese natürlich nicht verraten werden dürfen, sei hier nur gesagt, dass der Film, nicht nur eine nicht ganz unspannende Schauergeschichte erzählt, sondern von nichts anderem handelt als dem ergötzenden Glotzen, Gucken, Zusehen und Betrachten an sich. Da nun aber auch das Kino im Wesentlichen von all diesen Dingen handelt, ist „The Gathering“ auch ein Kinofilm über das eigentliche Wesen des Kinos, selbst wenn man während der rund anderthalbstündigen Laufzeit kein einziges Kino sieht.

Widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang nur, dass der Film, nähme er sich selbst auch nur im Ansatz ernst, sich damit seine Daseinsberechtigung entzieht. Denn was ist bitte schön von einem Film zu halten, der einem vermittelt, dass es unmoralisch ist, dass man ihn guckt und sich dabei unter Umständen auch noch unterhält? HARALD PETERS

„The Gathering“. Regie: Brian Gilbert. Mit: Christina Ricci, Ioan Gruffudd, Kerry Fox, Stephen Dillane u. a., Großbritannien/ USA 2003, 92 Minuten