The Beauty: Miss Holstein of Germany
In „Die schöne Krista“ begleiten die Dokumentarfilmer Antje Schneider und Carsten Waldbauer eine Kuh bei ihrer Karriere als Schönheitskönigin
BREMEN taz | Es war eine Premiere, wie man sie nicht alle Tage erlebt: In Bissel im Landkreis Oldenburg hatte die Familie Seeger am letzten Samstag ihre Scheune so umgeräumt, dass 300 Besucher sich dort, zum Teil auf Heuballen sitzend, einen Film ansehen konnten. Natürlich wurde auch die Hauptdarstellerin vor der Leinwand präsentiert. Krista ist zwar nur eine Kuh, aber inzwischen daran gewohnt, dass Menschen ihr bewundernde Blicke zuwerfen. In dem Film „Die Schöne Krista“ kommt man ihr so nah, dass man lernt, nicht nur ihre Attraktivität, sondern auch ihre Persönlichkeit zu schätzen.
Auf den ersten Blick scheint es nicht viel mehr als eine Kuriosität, wenn eine Kuh von Wettbewerb zu Wettbewerb gefahren, vor den Präsentationen sorgfältig geschminkt und dann am Ledergeschirr zu einer Art Schaulauf vorgeführt wird. Der Moderator in der Oldenburger Weser-Ems-Halle macht dann auch am Beginn des Films einen Witz über die Suche nach „Germanys Next Top Model“, wenn Krista ihren ersten Preis als „Miss Holstein of Germany“ bekommt. Aber wenn dann ihr Besitzer wegen dieser Auszeichnung vor Glück weint, ist das von der Kamera so einfühlsam eingefangen, dass die ZuschauerInnen schnell die Perspektive des herablassenden Amüsements aufgeben.
Die beiden Dokumentarfilmer Antje Schneider und Carsten Waldbauer wollten eigentlich nur einen ganz konventionellen Film über die Bauernschaft in Niedersachsen drehen, als der Viehzüchter Jörg Seeger ihnen bei den Recherchen ganz begeistert von einer besonderen jungen Kuh erzählte. Mit dem für ihr Metier nötigen Gespür für eine gute Geschichte filmten sie Kristas Auftritt bei ihrer ersten Viehschau und folgten die nächsten fünf Jahre lang ihrer Karriere.
Dabei waren sie regelmäßig Gäste auf dem Hof von Jörg und Janine Seeger und so wurden diese letztlich die Protagonisten des Films. Der Film zeigt den Arbeitsalltag auf einem Bauernhof mit Milchkühen. Da hat eine Kuh Schwierigkeiten beim Kalben und der Fötus muss ihr in einer dramatischen Aktion mit einer Winde aus dem Bauch gezogen werden. Man merkt, wie gut Carsten Waldbauer an der Kamera ist, wenn er in einer extremen Nahaufnahme die Panik im Auge der Kuh einfängt.
Es gibt auch Sequenzen, die die ländliche Idylle zeigen – beispielsweise eine Weihnachtsfeier der kleinen Familie auf dem Hof. Diese bilden einen interessanten Kontrast zu den hoch technisierten Methoden, mit denen heute Viehzucht betrieben wird.
So ist der Vater von Krista ein Zuchtbulle in Kanada, dessen Samen aus einer Zuchtfabrik, die die Familie Seeger auf einer Geschäftsreise besucht, tausendfach und international verkauft wird. Eizellen von Krista sollen künstlich befruchtet und dann anderen Kühen eingesetzt werden.
Wenn in Krista wegen einer Krankheit eine Zeit lang keine Eizellen entstehen, klagt Jörg Seeger: „Krista macht keine Eier!“ Im Labor werden die Gene des Tiers analysiert und nach einer Operation produziert die Kuh schließlich nicht nur Eier, sondern kalbt schließlich auch selber.
Die Regisseure Antje Schneider und Carsten Waldbauer können in ihrem Film auf diese Aspekte der modernen Viehzucht blicken, weil sie mit der Geschichte von der Karriere von Krista ein starkes dramaturgisches Gerüst haben. So folgen sie Jörg Seeger und seiner Kuh zu einem Wettbewerb nach Italien, wo Krista zwar nur Zweite, ihr Euter aber als der schönste von ganz Europa ausgezeichnet wird. In einem Atelier werden Starfotos von Krista gemacht, ihr Kalb wird zu einem absurd hoch klingenden Preis versteigert und schließlich gewinnt sie als erste Kuh überhaupt ein zweites Mal die „Grand Champion-Wahl bei der Deutschen Holstein Schau“.
All das wird von dem Rinderzüchter Erich Grasshorn aus dem Nachbarort kommentiert, dessen trockene Sprüche im breiten südoldenburger Platt für die meisten Lacher im Film sorgen. Seine Auftritte bilden einen geschickt gesetzten Kontrapunkt zu den Bildern von der kompakten Arbeitsgemeinschaft, als die die Familie Seegers präsentiert wird. „Jeder Film braucht einen Clown“, sagte der inzwischen 86-jährige Grasshorn auf der Premiere und traf damit wie mit den meisten seiner Sprüche im Film den Nagel auf den Kopf.
Wie sorgfältig „Die schöne Krista“ produziert ist, erkennt man auch daran, dass mit Rainer Brünnighaus ein renommierter Jazzpianist für die Filmmusik verantwortlich ist. Er hat eine volkstümlich–idyllische Begleitung komponiert und eingespielt, die die Wirkung der Bilder so natürlich unterstützt, dass man sie oft kaum wahrnimmt. Einmal kann man im Film einen Keyboardspieler dabei erleben, wie er im Saal zur Präsentation der Kühe die Musikuntermalung spielt und Brünninghaus gelingt es, nahtlos diese Originaltöne in seine Filmmusik einzubetten.
Bei der Premiere am letzten Samstag in der Scheune der Seegers sah die inzwischen zehn Jahre alte Krista noch so prächtig aus wie früher, aber ihre Karriere als Schönheitskönigin hat ein skandalöses Ende gefunden, das im Film allerdings nicht mehr zeigt wird. Dort ist noch zu sehen, wie Jörg Seeger sie mit allerhand Tricks vor ihren Auftritten verschönerte. So wurde etwa ihr Fell am Kopf mit Haarspray fixiert, so dass so etwas wie eine Frisur entstand. Im letzten Jahr wurde Krista dann bei der Wahl zur schönsten Kuh Deutschlands in Oldenburg disqualifiziert, weil sie falsche Haare auf ihrem Rücken hatte.
„Die schöne Krista“: ab 20. 3. in Kiel, Rensburg, Brake und Heide; ab 27. 3. in Hamburg und weiteren Städten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül