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Teurer Ausstieg aus dem Unionsverband

■ Die ökonomischen Konsequenzen des Unabhängigkeitsbegehrens der baltischen Republiken

Moskau (adn) - Alle Anzeichen sprechen dafür, daß Litauen als erste der drei baltischen Unionsrepubliken noch in diesem Jahr von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und aus der UdSSR austreten wird. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit würden die Beziehungen der UdSSR auf vertraglicher Basis wie zwischen anderen europäischen Staaten gestaltet werden. Sooft derartige Vorstellungen aus den baltischen Republiken zu hören waren, ließen die Warnungen aus Moskau nicht lange auf sich warten. Es sei eine Sache, Probleme im „Familienkreis“ zu lösen, und eine völlig andere, für Valuta einzukaufen, so das sowjetische Fernsehen. Gorbatschow hatte bei seinem Litauenbesuch im Januar ungewohnt sarkastisch auf eine Frage zur künftigen Eigenstaatlichkeit reagiert: Eine Tonne Erdöl kostet dann nicht mehr 34 Rubel, sondern 74 Dollar. Lettland deckt seinen Bedarf an Brennstoffen zu 96 Prozent, an Elektroenergie zu 50 Prozent, an Eisenmetallen zu 90 Prozent und an Chemiefasern zu 80 Prozent aus anderen Unionsrepubliken. Die Wechselbeziehungen in der Volkswirtschaft sind so eng miteinander verflochten, daß sie sich Versuchen der Zerstörung wiedersetzen, hieß es auf dem Nationalitätenplenum der KPdSU im vergangenen Herbst. Allerdings werden in Litauen durch „Monopolisierung“ der sowjetischen Wirtschaft mehr als 150 Erzeugnisse produziert, die nirgends in der restlichen Union hergestellt, aber dringend benötigt werden. Mit welchen ökonomischen Problemen die einzelnen Republiken dann konfrontiert werden, zeigen auch die ersten Auswirkungen der ab Jahresbeginn zugesprochenen Selbstständigkeit im Baltikum. Estland fordert drastisch höhere Tarife für die an Lettland gelieferte Elektroenergie. Bei einem Haushaltsdefizit der Lettischen SSR von 150 Millionen Rubel werden spürbare Preiserhöhungen für Konsumgüter und Dienstleistungen prophezeit. All diese mehr oder weniger ausgesprochenen Drohungen konnten die Unabhängigkeitsbestrebungen bislang jedoch nicht bremsen. Estland setze, so sein Ministerpräsident Viljar Veskiväli „auf freie Marktwirtschaft und eine eigene konvertible Währung, wozu noch 1990 die estnische Krone wieder eingeführt werden soll. Die Unabhängigkeit wird teuer doch die Tatsachen sprechen dafür, daß man sie zumindestens im Baltikum unter alllen Umständen erkaufen will.

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