: Teure Retrogarde?
Gegenständliches aus Sachsen gilt derzeit als Renner auf dem Kunstmarkt. Auch die Weserburg ist nun – qua Sammlervorliebe – mit Werken der „Neuen Leipziger Schule“ gefüllt. Gleichzeitig soll diskutiert werden
Wenn sich das Morgenrot in der Tannenspitze spiegelt, diese wiederum unter dem Schwarz der Autobahnauffahrt zu leuchten beginnt, dann geht einem unweigerlich das Herz auf. Sammlern in aller Welt außerdem noch das Portemonnaie, denn David Schnell und seine Mitmaler aus der „Neuen Leipziger Schule“ sind derzeit angesagt wie wenige. Und das mit figürlicher Darstellung. Mit abgemalten Fotografien. Jetzt sind sie auch – als Dauerausstellung – im Neuen Museum Weserburg angekommen.
Schnells Weihnachtsbaumplantage gehört nämlich zur Sammlung von Thomas Olbricht, der Essener Arzt ist einer der wichtigsten Leihgeber des Hauses. Und als solcher Teil des beschleunigten „Bildlein wechsel dich“, das derzeit gespielt wird. Die Sammler seien „scharf auf schnellen Wechsel“, konstatiert Weserburg-Kurator Peter Friese. Olbricht spiele „seine Lust am vorne sein grenzenlos aus, das stimuliert ihn.“
Mit der „Neuen Leipziger Schule“ hat sich Olbricht – und in seinem Gefolge die Weserburg – jetzt einem Phänomen verschreiben, das fast schon zu „vorne“ ist. Es ist oberangesagt. Mal wird in ihm (mal wieder) die Auferweckung der Malerei gefeiert, dann eine neue „ästhetische Systemkritik“, die aus den Pinseln der um die 30 Jahre alten Absolventen der Leipziger Kunsthochschule flösse. Das dazu gehörige Label: „Die neuen Milden“, die die alten „Neuen Wilden“ ablösen würden. Gegenüber den US-Galeristen spricht man von „Young German Painting“, in der „Zeit“ heißt die Leipziger Kunst „Kraut Art“. Vielleicht sollte man das Ganze einfach „postsozialistischen Realismus“ nennen – damit die taz auch beim munteren Namedropping dabei ist.
Faktisch stimmt: Die Leipziger Kunsthochschule hat seit den Neunziger Jahren großen Zulauf auch westdeutscher SchülerInnen, „Östeln“ war und ist Mode. Schnell zum Beispiel, Jahrgang 1971, kommt aus Bergisch-Gladbach und ging als 24-Jähriger nach Leipzig, um bei Arno Rink zu studieren. Ohne das „neu“ bezieht sich „Leipziger Schule“ auf DDR-Künstler wie Arno Rink, der an der damaligen „Hochschule für Graphik und Buchkunst“ lehrte – und das Institut nach der Wende erfolgreich gegen die Übernahme durch Video- und Installationskonzeptionisten verteidigte. Bei Rink wird gemalt.
Zum Beispiel die „Straße 2003“. Meisterschüler Christoph Ruckhäberle hat eine breite Kurve mit Casino und anderen gebräunten Fassaden auf die Leinwand gebracht, deren Ödnis kein Pinselduktus stört. „Das ist wahnsinnig schlecht gemalt“, gibt Friese zu. Trotzdem verkauft es sich. Die Straße übrigens – ein konzeptioneller Ansatz! – wurde von den Turnschuhen des Malers offenbar schon oft betreten.
Jetzt will Friese die Diskussion über die Leipziger nach Bremen zu holen. Er hat Künstler, Galeristen und Sammler eingeladen, auch Olbricht selbst wird seine Leidenschaften darlegen. Immerhin geschieht das Ganze noch rechtzeitig zu Thomas Scheibitz‘ Präsenz auf der Biennale, die eine weitere mediale Hype-Raketenstufe für die NLS (wie man bestimmt bald kürzelt) zünden wird. Scheibitz, der gerne auch in Comics oder Mangas macht, ist der bisher Erfolgreichste unter ihnen.
Ist das Ganze nun Avant- oder eher Retrogarde? Man kann trefflich über eine „früh vergreiste Malerei“ lästern. Scheibitz jedenfalls gehört mittlerweile zu denen, die sogar Noch-Nicht-Gemaltes verkaufen.
Henning Bleyl
Die nächste Führung zur Neuen Leipziger Schule findet am 31.8. um 18 Uhr statt. Das Begleitprogramm dauert bis zum 9. November, Olbricht selbst kann man am 14. September kennen lernen