: Teuer bezahlte Aldi-Schnäppchen
Aldi ist der achtgrößte Textilhändler der Republik. Viele Hemden und Hosen kommen aus China, wo die Näherinnen oft sieben Tage die Woche schuften, neben den Fabrikhallen schlafen und weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen
AUS BERLIN ANNETTE JENSEN
Jeden Mittwochmorgen herrscht bei Aldi Hochbetrieb: Schnäppchenjagd. Vergangene Woche im Angebot: günstige Freizeitkleidung. Herren-T-Shirts sind für 2,99 Euro zu haben, und für Damen gibt es Caprihosen, das Stück für 7,99 Euro. Wo all die bunten Klamotten herkommen, kann die Verkäuferin in der Berliner Filiale nicht sagen: „Wir kriegen das von der Zentrale geliefert.“ Auch die Verpackungen geben keine Auskunft: Aufgedruckt sind lediglich die Namen der Importeure aus Hamburg, Bergkamen oder Bochum.
Tatsächlich kommt zumindest ein Teil der Waren aus der chinesischen Provinz Jiangsu und aus Indonesien. Und wird dort unter wenig menschenwürdigen Bedingungen produziert. Das hat das kirchliche Forschungsinstitut Südwind herausgefunden, als es die Wege einiger Aldi-Hemden, -Hosen und -Mäntel bis zu den Produktionsstätten zurückverfolgte.
Über 1 Milliarde Euro setzt Aldi jedes Jahr allein mit Kleidung um. Damit ist der Discounter der achtgrößte Textileinzelhändler in Deutschland. Nicht nur Menschen mit schmalem Geldbeutel packen hier ihren Wagen voll. 85 Prozent der Bundesbürger kaufen zumindest gelegentlich bei Aldi ein, und Besserverdienende sind hier sogar die größte Kundengruppe. Sie alle haben mit dafür gesorgt, dass die Brüder Karl und Theo Albrecht die reichsten Männer der Republik geworden sind, mit einem Vermögen von schätzungsweise 30 Milliarden Euro.
Doch in den Fabriken in Indonesien und China arbeiten Näherinnen unter Bedingungen, die selbst nach den dort geltenden Gesetzen rechtswidrig sind: Frauen, die einen Job ergattern wollen, müssen in einigen Fabriken dafür zunächst eine Kaution zahlen. Die Arbeiterinnen werden in der Regel in Schlafsälen neben der Fertigungshalle einquartiert, die kurz nach Arbeitsende zugeschlossen werden. Morgens um acht haben sie an der Maschine zu sitzen, abends um neun endet ihre Werktag – wenn nicht ein dringender Auftrag eine noch längere Arbeitszeit erfordert. In manchen Fabriken gilt die 7-Tage-Woche, bei zwei freien Tage im Monat. So kommen viele Frauen auf 336 Arbeitsstunden im Monat, obwohl in China offiziell die 40-Stunden-Woche gilt und maximal 36 Überstunden pro Monat erlaubt sind. Wer einmal einen Tag frei braucht, muss mit Lohneinbußen rechnen: Manchmal ziehen die Arbeitgeber wegen eines Fehltages über 10 Prozent vom Monatseinkommen ab.
Der gesetzliche Mindestlohn liegt in den untersuchten Regionen bei 480 bzw. 690 Yuan (45,75 bzw. 65,77 Euro) und bezieht sich auf eine normale Woche ohne Überstunden. Tatsächlich zahlen die Fabriken den Arbeiterinnen deutlich weniger. Manchmal bekommen die Frauen nur ein Drittel dessen, was ihnen rechtlich zustünde. Wer kündigen will, braucht dafür die Erlaubnis des Arbeitgebers – und erhält sie häufig nicht. Denn die Näherinnen werden gebraucht: Die Ware muss oft so schnell wie möglich nach Europa gelangen, schließlich sind die Modezyklen immer kürzer geworden.
Um die Beschäftigten bei der Stange zu halten, haben die Arbeitgeber ein Druckmittel: Sie zahlen den Lohn nur mit großer Verzögerung aus, auch wenn das gesetzwidrig ist. Für Kündigungswillige bedeutet das: Wer einfach abhaut, hat 20 bis 50 Tage völlig umsonst geschuftet.
Südwind hat Aldi mit den Untersuchungsergebnissen konfrontiert: Natürlich wisse man um die eigene Verantwortung, heißt es in dem Antwortbrief. „Dabei ist es uns selbstverständlich ein wichtiges Anliegen, dass die Produktion von Waren unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen erfolgt.“ Aldi habe aber den Zulieferern bisher vertraut, künftig werde man sie besser kontrollieren. „Wir wollen nicht erreichen, dass Aldi die Beziehungen zu den Firmen in China und Indonesien kappt“, betont Ingeborg Wick von Südwind. Vielmehr gehe es darum, in den Fabriken Verbesserungen für die Beschäftigten durchzusetzen. Schließlich seien die untersuchten Fabriken ja keine schlimmen Einzelfälle, sondern typisch für die Regionen. Doch ohne Druck wird Aldi hier wohl kaum aktiv werden. Deshalb sollen nun die Kunden mit der Frage konfrontiert werden, warum ihr Freizeithemd so billig ist.