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Archiv-Artikel

Testfall für menschliche Unparteilichkeit

Sind Tierversuche nur dann zulässig, wenn man auch bereit wäre, sie an Menschen mit ähnlichen Eigenschaften durchzuführen? Wissenschaftler diskutierten auf einem Kongress zur „Ethik der Tierversuche“ in Bremen – und blieben uneins

Darf man pro Jahr 2.265.489 Tiere für Experimente benutzen?

Bremen taz ■ Ganz uneigennützig war man sicher nicht. Zu einem hochkarätig besetzten, wissenschaftlichen Symposium zur „Ethik der Tierversuche“ hatte die Universität Bremen am Donnerstag ins neu eröffnete „Haus der Wissenschaft“ geladen. Wissenschaftler aus dem In- und Ausland kamen, um ihre diesbezüglichen Überlegungen zu präsentieren, und man darf annehmen, dass die Hochschule dabei die schärfer gewordene Diskussion um ihre Makaken-Versuche im Blick hatte.

Der bereits als Gutachter für die Universitätsleitung in Erscheinung getretene Jurist Wolfgang Löwer wies darauf hin, dass es sich keineswegs um eine rein akademische Debatte handelt: Das Tierschutzgesetz erlaube Tierversuche nur im „ethisch vertretbaren Rahmen“. Hieran hätten sich die für Tierversuche zuständigen Genehmigungsbehörden zu orientieren, so der Staatsrechtler. Was aber ist „ethisch vertretbar“?

Für Klaus Peter-Rippe, Bioethiker aus Zürich, liegt die Antwort darauf in nichts geringerem als dem Wesen des Menschen selbst. Worin unterscheidet sich der Mensch im Letzten von nicht-menschlichen Wesen?

Nur dieser Unterschied, so der Philosoph, könne begründen, warum man Tiere für Experimente heranzieht, die man Menschen niemals zumuten würde. Allerdings sei er sehr schwer zu bestimmen. Er müsse aber die Grundlage sein für eine Güterabwägung zwischen menschlichem Nutzen und tierischem Leid. Der Philosoph Erwin Lengauer – „kein Tierversuchsgegner obwohl seit 10 Jahren Veganer“ – forderte, die Scheu vor dem Begriff der „Tierrechte“ zu verlieren. Tiere könnten Leiden, hätten daher Interessen. Und ein Interessenträger sei ein Rechtssubjekt. Dass es diese nicht selbst geltend machen könne, sei unerheblich.

Jörg Luy, bundesweit erster Professor für Tierschutz, sprach sich für eine Stärkung des gesetzlichen Tierschutzes aus. Bisher sei ein Tier gesetzlich nur gegen „erhebliche oder sich wiederholende Schmerzen“ geschützt, so Luy. Und das auch nur, solange keine „erheblichen menschlichen Belange“ dagegen stünden. Dies könne „nicht als Tierschutz bezeichnet werden“, so Luy weiter.

Als „erheblicher menschlicher Belang“ gilt gemeinhin die Entwicklung neuer Medikamente. Wie verhält es sich aber mit Grundlagenforschung, die zunächst ohne konkreten menschlichen Nutzen Tieren Leid zufügt? „Der gesamte medizinische Erkenntnisstand ist ohne Grundlagenforschung undenkbar“, meinte hierzu der Bremer Hirnforscher Andreas Kreiter. Eine Bindung von Tierversuchsgenehmigungen an konkret für Menschen verwertbare Fragestellungen sei daher kontraproduktiv, so der Biologe. Sein Kollege Hans Flohr pflichtete ihm bei. So sei Diabetes, früher eine tödliche Krankheit, zufällig bei Rattenexperimenten entschlüsselt worden. Zudem sei es unverantwortlich, Millionen von AIDS-Kranken in der „Dritten Welt“ mögliche Therapien vorzuenthalten, weil man aus ethischen Erwägungen auf Tierversuche verzichtet. Ausgerechnet Kranke in der „Dritten Welt“ zur Legitimation von Tierversuchen heranzuziehen sei unredlich, hielt ihm ein Kritiker entgegen. Diese profitierten kaum oder gar nicht von neuen Therapien – ob mit oder ohne Tierversuche. Und überhaupt: Als Menschenversuche in der Medizin abgeschafft wurden, hätte dies schließlich auch kein Ende der Forschung bedeutet, sondern einen Innovationsschub bei den Forschungsmethoden.

Mehrere Redner sprachen sich für ein Verbot von „Höchstbelastungen“ aus, besonders grausamen Versuchspraktiken. Diese sollten generell untersagt werden, egal, welches Forschungsziel verfolgt werde.

Christian Jakob