Tennis: Der betagte Gewinner
Michael Berrer macht neue Erfahrungen. Er siegt zum ersten Mal bei einem Grand-Slam-Turnier - in einem Alter, wo andere erste Verschleißerscheinungen spüren.
WIMBLEDON taz Er wohnt in einem netten, nicht allzu großen Hotel an der Putney Bridge; was man sich halt in London so leistet, wenn die Einnahmen eher ungewiss sind. Aber bei der Buchung der Zimmer für sich und seinen Trainer hatte Michael Berrer schon Zuversicht bewiesen. "Zwölf Tage", sagt er, "da sind wir keine Amateure." Zum Glück steht jetzt schon fest, dass nach Abzug der Kosten so viel übrig bleiben wird, dass es nicht nur das Herz eines Schwaben erfreut. Für den Sieg in der ersten Runde der All England Championships gegen den Spanier Albert Montanes wird Berrer mit einem Preisgeld von 10.000 Pfund bedacht, umgerechnet fast 15.000 Euro. Das ist ein sehr ordentlicher Lohn für den ersten Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier im stolzen Alter von 27 Jahren. Fast 27, um genau zu sein, denn Geburtstag ist erst nächsten Sonntag. Der Stuttgarter weiß, dass er ziemlich spät dran ist. Er ist zwar offiziell seit acht Jahren Profi, aber wie die Kollegen Benjamin Becker oder Alexander Waske hat er ein paar Jahre gebraucht, um herauszufinden, was er wirklich will.
Zwischendurch hat er mal drei Semester Jura studiert, aber das fand er zu trocken. Also doch lieber Tennis? "Ja, "sagt Berrer, "aber ich hab erst mit 21 begriffen, dass ich mehr machen muss. Das kapiert man dann, oder man wird Student." Die Berrers, Beckers und Waskes sind sozusagen der Gegenentwurf zu den Jungen, die die Schule früh verlassen und beim Versuch, ihren Traum zu verwirklichen, auch ein gewisses Risiko eingehen. Berrer sagt: "Bei uns in Deutschland macht man die Schule zu Ende, und danach wird man Profi. Damit ist man halt auf der sicheren Seite."
Auf der einen Seite haben sie auf diese Art so viel Zeit verpasst, dass es sicher nicht mehr zum ganz großen Wurf reichen wird. Auf der anderen vermitteln sie allesamt den Eindruck, als wüssten sie, was sie tun. Als seien sie im Reinen mit sich. Und als hätten sie begriffen, dass sie mit der Art ihres Auftretens und nicht nur über Sieg oder Niederlage entscheiden. Alexander Waske, der diesmal in Wimbledon verletzt fehlt, hat mit seiner zupackenden, direkten Art Schwung ins deutsche Davis-Cup-Team gebracht. Und Berrer sagt: "Tennis ist nicht tot in Deutschland. Es liegt an uns, das darzustellen."
Zu übersehen ist er jedenfalls nicht. Mit einem Gewicht von 102 Kilo bei 1,93 Größe ist er der Einzige unter den ersten hundert der Weltrangliste, der über hundert Kilo wiegt.
Was allerdings zu einem ganz speziellen Problem führen kann. Wegen des Gewichts verschleißt er im Jahr zwischen 40 und 50 Paar Tennisschuhe, Größe 48, und bisweilen kommt sein Ausrüster mit der Versorgung kaum nach. Ginge es nach Berrer, dann würde er in dieser Woche mit seinen großen Füßen gern noch ein paar Halme platt treten. Für ihn, der trotz gelegentlicher Auftritte bei den Grand Slams nach wie vor häufig bei den eher kleineren Challengerturnieren spielt, ist es noch was Besonderes, in der Umkleidekabine dem Kollegen Federer zu begegnen.
Noch lieber allerdings träfe er den Meister des Rasentennis auf dem Centre Court, und rein theoretisch ließe sich das machen. Dazu müsste er noch zweimal gewinnen: In Runde zwei gegen den Sieger der Partie zwischen dem Russen Dimitri Tursunow und Nicolas Almagro aus Spanien und in Runde drei vielleicht gegen Tommy Haas.
Der größte Sieg seiner Karriere steht sicher noch aus, trotzdem findet Berrer, bis jetzt habe sich das alles so oder so schon gelohnt. Die Frage, ob denn das Preisgeld bei den kleineren Turnieren sonst genüge, um die Kosten für sich und Trainer Carsten Arriens zu begleichen, antwortet er ganz gelassen: "Ich bin zufrieden. Andere in meinem Alter werden nicht so viel zurückgelegt haben." Damit liegt er vermutlich nicht falsch; bisher hat die Karriere auf Umwegen knapp 365.000 Euro eingebracht. Aber Geld ist nicht alles. Wenn er in Wimbledon über die Anlage spaziert, auf das satte Grün des Rasens blickt und später das nicht weniger satte Gefühl eines Sieges genießt, dann weiß er, dass er sich richtig entschieden hat.
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