: Tennis statt Ferien
Zu seiner eigenen großen Überraschung hat es Richard Krajicek in Wimbledon bis ins Viertelfinale geschafft
WIMBLEDON taz ■ Das Ferienhaus auf Mallorca hatten die Krajiceks für den 3. Juli gebucht. Und weil man die Pläne einer Familie mit zwei kleinen Kindern nicht von heute auf morgen ändern kann, nur weil der Haushaltsvorstand gerade ein paar Tennisspiele gewinnt, ist die Ehefrau desselben mit Emma (4) und Alec (2) inzwischen auf der Insel gelandet. „Das mit dem Haus“, sagt Richard Krajicek, „zeigt doch am besten, wie viel Vertrauen ich in meine Fähigkeit hatte, die zweite Woche in Wimbledon zu erreichen.“ Aber er hat zu seiner grenzenlosen Überraschung nicht nur die zweite Woche, sondern sogar das Viertelfinale erreicht, und das ist wirklich eine unglaubliche Geschichte.
Eigentlich ist es nicht viel mehr als ein Versuch gewesen. Nachdem er vorher schon fünf Monate wegen zu großer Schmerzen im Ellbogen nicht spielen konnte, hatte sich Krajicek (30) im März vergangenen Jahres von einem Spezialisten in den USA operieren lassen, der schon den früheren Tennisgrößen Stan Smith und Manuel Orantes beim gleichen Problem geholfen hatte. Smith und Orantes feierten danach ein erfolgreiches Comeback, der Arzt war auch in Krajiceks Fall optimistisch und meinte, nach drei bis sechs Monaten sollte der wieder professionell Tennis spielen können.
Doch die Schmerzen blieben, Krajicek verwarf mehrere Pläne zur Rückkehr, und als er vor ein paar Wochen wieder mal dachte, das mache alles keinen Sinn, beschloss er gemeinsam mit seinem langjährigen Trainer Rohan Goetzke, sich noch zwei Versuche zu geben, aber keinen weiteren mehr. Nummer eins war das Rasenturnier daheim in den Niederlanden in s’Hertogenbosch und danach Wimbledon. Falls das scheitern sollte, dann wäre Nummer zwei die Hartplatz-Saison in den USA. Und falls auch das nicht funktionieren würde, sollte es das gewesen sein mit dem Tennisspieler Richard Krajicek.
In s’Hertogenbosch verlor er zwar das erste Spiel nach eineinhalb Jahren Pause gegen den Schweizer Roger Federer, doch er fand sich nicht schlecht, und vor allem wurde er vom Publikum mit einer standing ovation verwöhnt, was ihn bewegte; Richard Krajiceks Verhältnis zu den Leuten daheim ist in der Vergangenheit nicht immer das beste gewesen. Danach machte er sich auf den Weg nach Wimbledon, dem Ort seines Triumphes anno 1996, sah die Auslosung und dachte sich, na, wenn’s gut läuft, komm ich in die dritte Runde.
Zum allgemeinen Erstaunen besiegte er den jungen, starken Amerikaner James Blake in Runde zwei mit 11:9 im fünften Satz, in Runde drei hatte er Andre Agassi erwartet, doch stattdessen spielte er gegen dessen thailändischen Bezwinger Paradorn Srichaphan, und dann kam Mark Philippoussis, der andere Rekonvaleszent. Zwei Tage dauerte die Partie der beiden, am ersten verabschiedeten sie sich nach vier Tiebreaks beim Stand von 2:2, und eines war Krajicek sonnenklar, bevor es danach weiterging: dass es von der ersten Sekunde des einen, entscheidenden Satzes darauf ankommen würde, mit allen Sinnen bei der Sache zu sein.
Gut aufgewärnt ging er aus dem Fitnessraum direkt auf dem Platz, spielte zwei, drei scharfe Returns, die Philippoussis überraschten, der trug seinen Teil mit einem Doppelfehler bei, und schon war es passiert. Break für Krajicek zum 1:0, und diesen Vorsprung rettete er ins Ziel, obwohl der Australier danach alles versuchte, um das Blatt noch zu wenden.
Als es vorbei war, sah Richard Krajicek aus wie ein kleiner Junge unterm Tannenbaum. Und er sagte: „Ich hab mich immer gefragt, warum ich eigentlich noch spielen will, aber jetzt weiß ich’s wieder genau. So ein Spektakel auf dem Platz, die ganze Nervosität, die ja auch irgendwie Spaß macht – das ist es einfach.“ Eine beglückende Erkenntnis, fast so viel wert wie jener Titel vor sechs Jahren. DORIS HENKEL
Männer, Viertelfinale: Tim Henman (GBR) - Andre Sa (BRA) 6:3, 5:7, 6:4, 6:3; Lleyton Hewitt (AUS) - Sjeng Schalken (NED) 6:2, 6:2, 6:7 (5:7), 1:6, 7:5; Achtelfinale: Richard Krajicek (NED) - Mark Philippoussis (AUS) 6:7 (2:7), 7:6 (7:4), 6:7 (1:7), 7:6 (7:5), 6:4Frauen, Halbfinale: Venus Williams (USA) - Justine Henin (BEL) 6:3, 6:2; Viertelfinale: Amelie Mauresmo (FRA) - Jennifer Capriati (USA) 6:3, 6:2; Serena Williams (USA) - Daniela Hantuchova (SLO) 6:3, 6:2
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