: Tempelhof darf länger lärmen
Der Senat soll den Flughafen erst Oktober 2008 schließen, schlägt das Gericht vor – also ein Jahr später als geplant. Klaus Wowereit signalisiert Zustimmung. Endgültige Entscheidung im Januar
von ULRICH SCHULTE
Der Flughafen Tempelhof bekommt aller Voraussicht nach eine Gnadenfrist. Das Oberverwaltungsgericht hat im Streit zwischen Senat und Airlines gestern vorgeschlagen, den innerstädtischen Flughafen am 31. Oktober 2008 zu schließen – also ein Jahr später, als es die rot-rote Landesregierung geplant hatte. Der Vorsitzende Richter Jürgen Kipp mahnte die Beteiligten, in den Kompromiss einzuwilligen: „Es ist wünschenswert, dass in die aufgeheizte rechtliche Situation schnell Ruhe einkehrt.“
Bis zum 10. Januar müssen jetzt die 13 klagenden Airlines und der Senat über den Vergleich entscheiden. Berlins Chefpilot gab gestern schon sein Okay: „Ein fairer Interessenausgleich“ sei der Vorschlag, sagte Klaus Wowereit (SPD). Der Anwalt des Senats hatte nach dem Gerichtsbeschluss schon angekündigt, man werde „wahrscheinlich annehmen“. Auch Flughafenchef Rainer Schwarz sagt: „Wir sind sehr offen für diesen Vergleich.“ Einzelne klagende Airlines äußerten sich enttäuscht, mehrere aber wohlwollend. „Mehr ist juristisch nicht erreichbar. Jetzt sollte man zugreifen“, so Andreas Peter, Chef der Fluglinie Bizair. Auch die anderen Kläger würden den Kompromiss „ernsthaft überdenken“.
Im Einzelnen sieht der Vorschlag eine Einmottung vor, bei der die Betroffenen miteinbezogen werden. Die Linienflieger – zum Beispiel Intersky oder Brussels Airlines – dürfen wählen, ob sie in Zukunft ab Schönefeld oder Tegel fliegen wollen. Der Geschäftsflugverkehr – etwa vertreten durch die Ambulanz Flug International oder Windrose Air – muss nach Schönefeld. Die Mini-Airlines, meist mittelständische Firmen, die Lufttaxis betreiben, befürchten wirtschaftliche Nachteile durch den Umzug. Ihre Sicht: Geschäftsleute verlieren ungern zehn wertvolle Minuten auf der Autobahn.
Der Senat und die Flughafengesellschaft wollen den traditionsreichen Airport nicht nur wegen der Millionenverluste schließen, die er jährlich einfährt. Neben der Belästigung hunderttausender Neuköllner und Tempelhofer durch Lärm und Abgase argumentiert die Landesregierung vor allem mit dem Großflughafen Berlin-Brandenburg International (BBI). Das Planfeststellungsverfahren für den BBI, der 2011 fertig sein soll, sieht die schnelle Schließung Tempelhofs vor, ebenso die Tegels im Jahr 2012. Auch das Gericht vertritt diese Lesart. Richter Kipp hatte zuvor betont, einen Weiterbetrieb Tempelhofs, auch als Geschäftsflughafen, sei nach der BBI-Inbetriebnahme nicht möglich.
Das Gericht übt sanften Druck auf die Klägerfirmen aus, sich dem anzuschließen. Falls sie den Vergleich ablehnten, bittet es den Senat ausdrücklich, die Verlängerung unabhängig davon zu genehmigen. Aus Sicht von Prozessbeobachtern ist klar: Bleiben die Airlines trotzig, werden sie die bittere Pille Stilllegung durch ein reguläres Urteil Ende Januar schlucken müssen. Eines aber scheint sicher: Die Investorenpläne aus den USA, Gesundheitszentrum und Hotel im Tempelhof-Gebäude einzurichten, sind obsolet, ebenso die Idee der Deutschen Bahn, jetzt auch Flughafenbetreiberin zu werden. Egal ob Tempelhof 2008 oder erst nach BBI-Inbetriebnahme 2011 schließt: ein solches Engagement macht nur längerfristig Sinn.