piwik no script img

Teenie-Schwangerschafts-KomödieBüßen ist was für Bigotte

Das Mädchen von heute tapeziert sich seine Hölle selbst. In "Juno" wird die 16 Jahre alte Heldin schwanger vom Nachbar-Nerd. Komisch wird's trotzdem.

Nerdig, zäh und selbstironisch: Juno mit Cheerleaderfreundin. Bild: 20th century fox

Langeweile - die Pest der Adoleszenz, wer kennt sie nicht? Gegenmittel: zum Beispiel Sex haben. Juno (Ellen Page) rafft sich auf und besucht ihren Schulfreund. Der wohnt in der gleichen sattgrünen Vorstadt wie sie, nur wenige Straßenzüge weiter. Es ist Herbst. Die beiden Teenager mögen sich, spielen Gitarre zusammen, auch wenn Juno viel zu jungenhaft lässig und viel zu hübsch ist für den schüchternen und ewig in gelben Boxershorts joggenden Paulie (Michael Cera).

Juno ist sich des Hipnessdefizits ihres mädchenhaften Freundes bewusst, deshalb ist er ihr auch ein wenig peinlich. Doch ein netterer Junge ist im Moment nicht zur Hand, und Juno ist pragmatisch. Ihr erstes Mal ist prima, wenn auch no big deal. Nun aber kommt, was kommen muss: Das über allen weiblichen Teenagern schaukelnde Damoklesschwert fällt, Juno wird schwanger. Und weil Abtreibung in der Kino- und Fernsehwelt nach wie vor tabu ist, will die Sechzehnjährige das Kind kriegen. Sie trifft die Entscheidung aus freien Stücken. Mädchen heutzutage sind selbstständig, jedes tapeziert sich seine Hölle selbst.

Diese Ausgangskonstellation der in den USA kommerziell sehr erfolgreichen Komödie hat einen gravierenden Haken. Denn Juno ist, wie es die Oscar gekürte Drehbuchautorin Diabolo Cody will, dreckscool, aufgeklärt, Musiknerd und egozentrisch. Daneben trägt sie den Namen der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin, kleiner Scherz. Und dieses toughe Mädchen soll die Scham einer Schwangerschaft in der Highschool und die Schmerzen einer Geburt über sich ergehen lassen, obwohl Mutterwerden für sie erklärtermaßen das Letzte ist? Und eine Abtreibung den diskreten Ausweg gewährte. Wohl kaum.

Doch um Wirklichkeitsnähe geht es in "Juno" nicht, und das, obwohl der Film so zeitgemäß daherkommt. Denn er ist ein für den Massengeschmack gedachtes komödienhaftes Lehrstück, das auslotet, was gegenwärtig moralisch wünschenswert ist und was nicht. Für diese seismografische Aufgabe muss die Hauptfigur in die für weibliche Jugendliche schlimmstmögliche Situation gebracht werden - Schwangerschaft. Wie es der Kriterienkatalog für weibliche Coolness derzeit will, meistert Juno die größte Herausforderung ihres kurzen Lebens durch Selbstironie, Schlagfertigkeit, Disziplin, Organisationstalent und unablässige Betriebsamkeit. Zudem glänzt Juno noch durch Humor und nervenstarken Eigensinn. Der Liebhaber wird kurzzeitig vergessen, in seiner Verträumtheit ist er nicht hilfreich. Die Zeichen der Zeit stehen schließlich auf Effizienz. Ohne Zeit zu verlieren, machen sich Juno und ihre beste Freundin daher auf die Suche nach den perfekten Adoptiveltern. Eine Anzeige im örtlichen Käseblättchen weist ihnen den Weg.

Die Figuren ahmen nun eine für das Genre der Komödie typische Konstellation nach: Unkonventionelles Mädchen versus erfolgreiches Musterpaar, das, kaum über dreißig, schon alles richtig gemacht hat. Regelbrüche sind ihm fremd. Die Herzen gehören natürlich Juno. Denn gegenüber ihrer Cleverness schmiert die in ihrem Perfektionsdrang überkontrollierte Jennifer Garner als potenzielle Adoptivmutter ziemlich ab. Natürlich darf es jetzt nicht mehr lange dauern, bis das Blatt sich wendet. Tut es auch, schließlich hat der Regisseur Jason Reitman nicht nur ein Gespür für Farbkompositionen und solides Schauspiel, sondern auch für Überraschungen.

So kehrt sich dieser Wohlfühlfilm für die ganze Familie erstaunlich kompromisslos gegen eine Moral, die besagt: Die leibliche Mutter ist das Nonplusultra fürs Kind. Er enthält sich auch der Bestrafung der Delinquentin. Juno muss für ihren Fehltritt zwar ungleich viel mehr auf sich nehmen als der Vater, aber büßen muss sie nicht. Auch ihre Eltern, inklusive Stiefmutter, machen alles richtig: Sich für Junos Schwangerschaft zu schämen, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Das ist die erfrischende Botschaft des Films: Die bigotte Moral, die Juno allererst in die missliche Situation bringt, nicht abtreiben zu können, wird im Verlauf des Films einfach aufgegeben. Stattdessen lautet die Behauptung: Es ist ganz einfach, sich falscher moralischer Zwänge zu entledigen und sich ordentlich zu benehmen: Der Vater tut es, die Stiefmutter tut es, die Cheerleaderfreundin tut es, der Jungvater ebenso. Und sie können es tun, weil sie Unüberlegtheit nicht mit Liebesentzug abstrafen. Juno ist eine schwangere Superfrau, weil alle um sie herum sie darin selbstverständlich unterstützen. Die patriarchale Logik, die Frauen kleinhält, indem sie Selbstzweifel bei jeder Gelegenheit bestätigt und erbrachte Leistungen systematisch als selbstverständlich oder ungenügend entwertet, diese Logik ersetzt der Film beschwingt durch einen unhintergehbaren solidarischen Optimismus.

Auch das ungeschriebene Mainstreamgesetz, das weibliche Figuren so gerne auf einen Typus festlegt, findet keine Anwendung. So darf Juno nervig und toll, süß und jungenhaft, hilfsbedürftig und selbstständig zugleich sein. Am Ende darf sie sogar gewinnen. So wie alle anderen Figuren auch.

Doch halt: Eine negative Figur gibt es. Es ist die junge Feministin, die im Abtreibungszentrum arbeitet. Das hässliche Fräulein markiert, was außerhalb des Konsensfähigen liegt. Die im Soundtrack gesampelte Folkmusik (unter anderem von Adam Green), welche die Erinnerung an die bunten 70er-Jahre aufleben lässt, wird auf diese beiläufige Weise symbolisch um die Komponente der Frauenbewegung entledigt. Das Super-Mädchen von heute ist hübsch, betriebsam, cool, nerdig, selbstironisch, solidarisch, zäh und antifeministisch. Und es liebt am Ende den tapsigen Jungen. Weil er auf sie gewartet hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • AP
    Alexander Pankratz

    Argumentativ: Sehr gut

    Aber es wird völlig ausser Acht gelassen, dass es hier nicht um gesellschaftliche Bewegungen und proklamatische Inhalte, sondern um Menschen geht.(Nicht um Leitbilder)

    Und alleine um so etwas schreiben zu können , ist ein millitantes "Nicht Verstehen Wollen" und eine hartnäckige Negation der eigenen Sensibilität nötig.

  • M
    medea

    Ich denke, Ihre Rezension krankt an der scheinbaren immanenten Formel "wer nicht abtreibt, kann auch nicht emanzipiert sein"...aber warum eigentlich nicht? Weder wird Juno als (von den Eltern, Kirche, dem Freund) fremdbestimmtes Wesen gezeigt, noch wird behauptet, dass Abtreibung als Alternative aus irgendeinem Grund falsch ist - im Gegenteil: die Demonstrantin vor der Klinik wird eher machtlos und ihr Argument ("Fingernägel") eher komisch dargestellt. Juno wird als verantwortungsvolle junge Frau gezeigt (hinter der oberflächlichen "Nerdigkeit" und Selbstironie), die diese Entscheidung ganz allein fällt. Das mag meistens (leider) nicht der Realität entsprechen - sollte man diese Selbstbestimmtheit und dieses Verantwortungsgefühl eben deswegen nicht als Vorbild sehen? Und das schafft der Film jenseits von religiösem Geschwafel! (Oder wollen Frauen etwa nur scheiternde, leidende, unterdrückte Frauen im Kino sehen, um sich selber besser und fortschrittlicher zu fühlen?)

  • J
    Jörg

    Ich halte "Juno" für einen guten und sehr diskussionswerten Film. Dies sollte allerdings nicht anhand einer verkürzenden und handwerklich bedenklichen Kritik geschehen.

    Erstens: ein gewonnener Oscar reicht offensichtlich nicht, dass man den Namen der Drehbuchautorin richtig schreibt. Sie heißt "Diablo Cody".

    Zweitens: Ich zitiere "Natürlich darf es jetzt nicht mehr lange dauern, bis das Blatt sich wendet. Tut es auch, schließlich hat der Regisseur Jason Reitman nicht nur ein Gespür für Farbkompositionen und solides Schauspiel, sondern auch für Überraschungen." Seit wann ist der Regisseur für inhaltliche Wendungen der Geschichte verantwortlich? Das sollte sich mal ein männlicher Rezensent herausnehmen, die arbeit der Drehbuchautorin dem Regisseur zuzuschreiben. Bodenlos.

    Drittens: "Die im Soundtrack gesampelte Folkmusik (unter anderem von Adam Green), welche die Erinnerung an die bunten 70er-Jahre aufleben lässt, wird auf diese beiläufige Weise symbolisch um die Komponente der Frauenbewegung entledigt." Mal ganz abgesehen von der grammatikalischen Fehlerhaftigkeit dieses Satzes, ist es äußerst originell, wenn eine feministische Autorin in Bezug auf den Soundtrack nur einen Mann nennt. Der sich dazu nur mit einem Lied und auch da nur als Teil der Band Moldy Peaches wiederfindet. Seine Mitmusikerin Kimya Dawson wird so geflissentlich ignoriert, was besonders ärgerlich ist, da sie (im Gegegensatz zu Adam Green) große Teile des restlichen Soundtracks beigesteuert hat.

  • AZ
    anke zoeckel

    Ich denke, hier irrt die Kritik. Auch heutzutage noch bekommen Mädchen ihre Höllen frendtapeziert. Und zwar nicht bloß von Männern. Mädchen wie Ines Kappert tun wirklich ihr Bestes, es den männlichen Handwerkern gleich zu tun.

     

    Im vorliegenden Fall wird aus einer amerikanischen Kommödie eine der üblichen Tragödien, indem Frau Kappert erfolgreich nach der böswillig versteckten Moral von der Geschicht' fahndet: Die weibliche Hauptperson des neuesten Unterhaltungsstreifens kann unmöglich ?dreckscool, aufgeklärt, Musiknerd und egozentrisch? sein und dabei nicht abtreiben wollen. Lügner überführt, Aufklärung gelungen. Klappe und aus.

     

    Und die werdende Teenager-Mutter im Kinosessel? Die begreift spätestens jetzt, dass sie etwas ganz entscheidendes verkehrt gemacht hat. Alles nämlich kann man offenbar nie haben. Was man hingegen immer hat, ist die Wahl: Entweder man hört auf Leute wie Ines Kappert, ist tough und treibt ab, oder man folgt Diabolo (!) Cody, wird Mutter und verdient sich damit das Lob einer durch und durch verlogenen US-Filmindustrie.

     

    Kein Zweifel: Es ist nie einfach, sich ?falscher moralischer Zwänge zu entledigen und sich ordentlich (welch ein Wort!) zu benehmen?. Weil es nämlich vollkommen gleichgültig ist, wie man sich entscheidet ? man macht es in jedem Fall verkehrt. Moral ist immer das, was die Anderen darunter verstehen.

     

    Eigentlich, nicht wahr, könnte man an der Stelle ganz beruhigt zu sich selbst zurückkehren und sagen: ?Ihr könnt mich alle mal!? Schade nur, dass man als Teenager genau dazu so selten in der Lage ist. Man hat nämlich immer Angst, dass da niemand ist, der auf einen wartet, wenn man nicht genau das Richtige tut. Die richtigen Filme ansehen zum Beispiel.

  • Z
    zarl

    Mich würde ja brennend interessieren, von welcher amerikanischen Lobby dieser Film finanziert wurde. Nichts gegen selbstbewusste junge Frauen, aber die Aussage der Geschichte riecht irgendwie nach Neocons. Schwanger mit 16 ist ja so cool, frau wird von Familie und Umgebung aufgefangen... Die Realität in den USA bei so frühen Schwangerschaften dürfte anders aussehen. Schulabbruch, wie gehts weiter?

  • A
    André

    Puh - da bin ich durch.

     

    Na dann bis zum nächsten Mal, Nerdi - äh Ines

     

    Viele Grüße

    André

  • T
    Tricky

    Das erste Gebot der Filmkritik: Du darfst das Ende nicht verraten.

    Ausnahme: Dem Artikel wird eine SPOILERWARNUNG vorausgeschickt.

    Vielen Dank!