Techno im Ruhrgebiet: "Jeder Depp legt das heute auf"
Die Party ist zu Ende. In Duisburg war sie das schon lange vor der letzten Loveparade, die eigentlich das Geschäft wieder ankurbeln sollte. Begegnungen mit der Elektro-Szene an Rhein und Ruhr.
Dortmunds Gartenstadt ist ein ruhiges Viertel. Beschaulich nahezu. "Oh Mann, so eine Wohnungssuche ist wirklich nervig. Vor allem wenn man sagen muss, was man beruflich macht", sagt Mario De Bellis und lässt sich in den Gartenstuhl vor dem kleinen Kiosk-Café fallen. Er ist DJ. "Da fragt mich die Frau doch ernsthaft, ob es dann bei mir immer laute Parties geben würde", sagt er mit einem Grinsen und zündet sich eine Zigarette an. "Dann muss ich immer erst mal erklären, dass ich das seit 30 Jahren mache, mein eigenes Label habe und also Geschäftsmann bin und davon lebe. Dann sind die meisten beruhigt."
Eigentlich sollte De Bellis am selben Abend im Le Grand auflegen, so steht es zumindest auf der Seite Coolibri.de, Stadtmagazin des Rhein-Ruhrgebiets. Aber die Seite scheint nicht aktuell zu sein: "Das war eine Veranstaltung, die wir im Frühjahr immer mittwochs gemacht haben, die gibt es nicht mehr", sagt er.
Mario De Bellis legt seit 30 Jahren auf, war bei vielen Loveparades dabei und hat 20 Jahre lang immer mal wieder auf der Partyinsel Ibiza gelebt. Das erste Mal sei er 1991 oder 1992 auf einer Loveparade gewesen, erzählt er. In Duisburg war er nicht dabei. "Ich bin vorher gefragt worden, aber ich hatte keine Lust mehr drauf." Seine letzte Loveparade war die in Dortmund, wo er auf einem brasilianischen Float mitgefahren sei. "Aber nur, weil ein Freund von mir aus Brasilien angereist kam und weil es meine Heimatstadt ist. Früher, als die Loveparade noch in Berlin war, war das immer so ein Traum von uns, sie ins Ruhrgebiet zu holen."
Die Geschichte der Loveparade hat einen ziemlich klaren Verlauf, es scheint eindeutig, wie sie zu dem wurde, was sie am Ende war: ein buntes, von der Gesellschaft eher vergessenes Fest, das, wenn überhaupt beachtet, nur belächelt wurde. Unterschichtenspaß, für den sich allenfalls noch Oliver Pocher und die Klitschko-Brüder hergaben. Doch der Anfang dieser Geschichte war anders.
"Da war ein Revolutionsgedanke", schreibt Dr. Motte, der Begründer des Liebesumzugs. Feiern, lieben, lustig sein. Und eben elektronische Musik, die für die, die nicht mitfeierten, nicht zugänglich schien. Jeder kennt die Bilder aus Berlin von halbnackten Menschen, bedeckt nur von Kokosnussschalen, pinken Plüschfetzen und Sonnenblumen. Dann kam die Musikindustrie mit den großen Plattenfirmen.
Geld als Spaßverderber
"Die Majors haben die Hits für Viva und so fertig gemacht und einfach Kitsch produziert. Da hat man als kleiner Raver die Songs gar nicht mehr wiedererkannt." Die Plattenfirmen brachten Geld mit - für viele Raver sicher ein guter Grund, die Spaßrevolution kurz zu vergessen. "Ich habe mich auch ein paar mal verhurt, heute ärgere ich mich darüber manchmal. Mir wurde mal viel Geld für ein Album geboten, ich habe noch mehr verlangt und das dann auch gekriegt. Letztlich kam das Album dann nie, nur der eine Hit: ,City Lights'."
Aber die Zeit, in der mit Techno Geld gemacht werden konnte, dauerte nicht lange. "Es gab da so eine Wellenbewegung. Mitte bis Ende der 1990er Jahre war die Kommerzialisierung ja extrem", sagt Jochen Kloeters, der vor 20 Jahren einen der ersten Techno-Clubs im Ruhrgebiet betrieb, den Future Club im Landschaftspark Duisburg.
"Somewhere over the rainbow" sang Marusha damals und so ziemlich alle unter 30 sangen mit. "Aber das war ja schreckliche Musik, die da in den Charts landete", sagt Kloeters. Er sei froh, dass die Kommerzialisierung in den vergangenen Jahren wieder zurückgegangen ist. "Die Szene ist wieder in den Clubs angekommen, und das ist für die Qualität der Musik wirklich gut."
Er selbst lebt mittlerweile von der Innenarchitektur. Er habe sich nach und nach aus der Szene und dem Veranstaltungsmanagement zurückgezogen. "Ich bin jetzt über 40, habe Familie und die Organisation von Veranstaltungen ist wirtschaftlich einfach eine sehr unsichere Sache", sagt er. "Außerdem ist die Szene ja vom Alter her sehr homogen, also sehr jung, und da hat man dann irgendwann keinen Bezug mehr dazu."
Nur die "club machine", die viermal im Jahr in der Gebläsehalle im Landschaftspark in Duisburg stattfindet, organisiert er noch. "Da hängt mein Herz noch dran, und man muss wirklich sagen, dass das von der Location her das Beste ist, was es gibt in Deutschland."
Auch Mirco Hering und Eric Smax, Veranstaltungsmanager und DJ aus Duisburg, sind derzeit nicht in Clubs oder auf Parties anzutreffen, sondern im Café. "Duisburg war ja in letzter Zeit immer wieder negativ in den Schlagzeilen: erst die Mafiamorde, dann die Bandidos, die sich hier gefeiert haben, und jetzt diese Katastrophe auch noch", sagt Hering und wirkt frustriert. Er ist der Betreiber von style-nights.de und organisiert Parties.
In Duisburg wird nicht mehr gefeiert. Seit dem Unglück bei der Loveparade vor drei Wochen sind etliche Veranstaltungen abgesagt worden, die Stadt ist ruhiggestellt. So auch die "summernight lounge", eine Partyreihe, die eigentlich zurzeit im Landschaftsgarten stattfinden sollte. Die Entscheidung sei falsch, sagt Hering, die Leute bräuchten doch gerade jetzt, nach dem Unglück, wieder etwas, worüber sie sich freuen könnten und das sie ablenkt.
"Die summernight lounge ähnelt in Stil und Publikum der Loveparade und wir fanden sie deswegen jetzt nicht angemessen", sagt Uwe Gerste vom Stadtmarketing. Aber während der Eröffnungsparty lief Mainstream-Musik der Charts. "Zudem kam noch, dass wir das Sicherheitskonzept für überprüfungswürdig halten. Nach der Tragödie der Loveparade haben wir alle Veranstaltungen, die von uns organisiert werden, hinsichtlich ihres Sicherheitskonzepts überprüft", sagt Gerste. Hering ist darüber entrüstet: "Es gab vor der summernight lounge Auflagen und die wurden erfüllt. Wir hatten bestimmt 100 Prozent mehr Türsteher als bei der Loveparade."
Ihn beunruhigt die Absage. "Es sind ganz wenige Leute, die hier in Duisburg im Veranstaltungsleben was machen und viel, viel Gas geben. Wenn das jetzt noch schwieriger wird, wird der Kampf noch härter, dass die, die in Duisburg feiern auch hier bleiben und nicht nach Düsseldorf gehen."
Düsseldorf ist nur eine Viertelstunde Zugfahrt von Duisburg entfernt und für die Partymacher eine echte Herausforderung. "Die Leute pilgern an jedem Wochenende nach Düsseldorf. Such dir doch hier mal ne Bar oder ne Lounge", sagt Eric Smax, Duisburger DJ. Es gibt nicht viele Orte, an denen in Duisburg gefeiert werden kann. Das ist vermutlich auch nicht ungewöhnlich für eine Stadt mit 400.000 Einwohnern, deren Arbeitslosenquote bei 13,5 Prozent liegt und die sich ihre Universität mit der Nachbarstadt Essen teilt.
"Es war mal cool hier"
Die Geschichte der Loveparade und des Techno spiegelt sich auch in der von der Duisburger Elektro-Szene wider. "Ende der 1980er und 1990er Jahre, da war das echt cool hier. Dann war eine Zeit lang gar nichts, dann kamen die Partyreihen", sagt Smax. "Es ist das Phänomen hier, dass, wenn du was Gutes hast, du das nicht jeden Samstag machen kannst. Die Leute machen das nicht jede Woche mit. Es gibt keinen festen Club, wo man weiß, dass jeden Freitag Programm ist. Nur Großraumbuden."
Smax ist, wie De Bellis, seit knapp 20 Jahren DJ und legt House auf, auch auf der Loveparade in Duisburg. "Elektronische Musik an sich ist nach wie vor existent, aber viele haben keine Lust mehr, das alles mitzumachen. In der Musik gibt es oft nur noch ein Pling und Plong und nen Pop und das wars. Jeder Depp legt das heute auf."
Pling und Plong - das steht für die einfallslose Elektromusik, auch De Bellis benutzt diese Formulierung. "Heute gibt es ja 100 verschiedene Abweichungen. Und dann hört man mal wieder, dass Techno tot sei, Elektro aber voll abgeht - das ist doch dieselbe Suppe." Er selbst lege nie nur eine Richtung auf: "Dann wirds irgendwann langweilig." Seit ein paar Jahren macht er sogenannte Classics-Parties, mit zwei Floors - auf dem einen wird neue Musik gespielt, auf dem anderen legt er alte Sachen auf. "Das kommt wahnsinnig gut an. Die Leute kriegen leuchtende Augen und Gänsehaut, wenn ich altes Zeug auflege. Das ist so schön. Ich habe dann immer drei Kisten mit Platten dabei, die würden reichen, um drei Tage durchgehend aufzulegen." Alle sind sie wütend: auf die Stadt, die Veranstalter und die Polizei. "Wenn bei mir im Club sich einer den Fuß verknackst, kommen die sofort zu mir als Veranstalter und machen mich verantwortlich", schimpft De Bellis.
In die Wut mischt sich Enttäuschung darüber, dass Duisburg mal wieder ein schlechtes Bild abgeliefert hat und der Tunnel mit 21 Toten das Bild sein wird, was noch lange in den Köpfen auftaucht, wenn der Name der Stadt fällt. "Die Loveparade wäre echt gut gewesen", sagt Smax, "wenn sie funktioniert hätte. Das hätte gezeigt, dass wir auch feiern können."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen