Technik in der Medizin: Fühlen mit der künstlichen Hand
Die Handprothese wird durch Muskelbewegungen gesteuert. Neu ist ein Rückkanal, der dem Patienten Informationen über den angefassten Gegenstand liefert.
PISA/LAUSANNE dpa | Handamputierte können mit einer neuartigen Prothese wieder fühlen und tasten. Der Däne Dennis Aabo Sørensen ist nach Angaben von Forschern der erste Mensch der Welt, der mit Hilfe einer solchen Ersatzhand ohne Zeitverzögerung etwas spüren kann.
„Wenn ich ein Objekt gehalten habe, konnte ich fühlen, ob es weich oder hart, rund oder eckig war“, wird Sørensen in einer Mitteilung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (Schweiz) zitiert. Der 36-Jährige hatte etwa neun Jahre zuvor seine linke Hand bei einem Unfall mit Feuerwerkskörpern verloren. Von der Testhand ist er begeistert: „Die sensorische Rückmeldung war unglaublich.“
An der Entwicklung der Ersatzhand waren Experten mehrerer europäischer Hochschulen und Kliniken beteiligt. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine und veröffentlichten ein Video auf Youtube.
Die Wissenschaftler waren sich zunächst nicht sicher, ob die neue Ersatzhand funktionieren würde: „Wir befürchteten, dass die Empfindlichkeit der Nerven des Patienten sich verringert hätte, weil er sie seit mehr als neun Jahren nicht benutzt hatte“, sagt Stanisa Raspopovic von einer italienischen Hochschule in Pisa (Scuola Superiore Sant'Anna). Doch die Sorge war unbegründet.
Wie bei anderen fortgeschrittenen Prothesen steuern Muskelbewegungen des Unterarms die Hand. Neu ist der Rückkanal, über den der Prothesenträger sofort merkt, ob er zu fest zudrückt oder welche Art Gegenstand er in der Hand hält. Sørensen kann mit der Prothese Größe, Form und Härte von Gegenständen in seiner Hand erfassen.
Präzise Bewegungen
Bei den meisten der mehr als 700 Versuche, die ihn die Wissenschaftler machen ließen, durfte er nichts sehen und hören. Stattdessen war er auf die Signale der Kunsthand angewiesen. Dabei bewegte er die Prothese viel genauer, als wenn er das Zugreifen nur mit den Augen kontrollierte.
Das Forscherteam setzte dem Patienten in einer Operation vier sehr feine Elektroden in den Oberarm. Ansatzpunkte waren der Mittelarmnerv (Nervus medianus), der Empfindungen von Daumen und Zeigefinger ans Gehirn leitet, und der Ellennerv (Nervus ulnaris), der die Signale für den kleinen Finger leitet. Eine Software übersetzt die elektrischen Signale der Drucksensoren in Impulse, die die Nerven weiterleiten können.
Die Wissenschaftler wollen ihr Verfahren nun an zahlreichen Patienten testen. Zukünftig solle der Stimulationsapparat verkleinert und vollständig implantiert werden.
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