piwik no script img

Taxifahrer als BücherwurmDostojewski neben dem Ersatzrad

Mahmut Cavusoglu befördert in seinem Taxi nicht nur Fahrgäste. Sein Kofferraum ist eine kleine Leihbibliothek. Am Flughafen Tegel versorgt er Kollegen mit Lektüre.

Ein Griff ins Regal führt zu spannenderen Unterhaltungen - so stellt Taxifahrer Mahmut Cavusoglu sich das vor. Bild: dpa, Uwe Anspach

Oben, im Terminal des Tegeler Flughafens, checken die Fluggäste ein nach St. Petersburg, Dubai und Miami. Unten, auf dem Parkplatz, warten der Taxifahrer Mahmut Cavusoglu und seine Kollegen darauf, dass die Wagenschlange vor ihnen schrumpft. "450 Taxen stehen hier, wenn der Parkplatz voll ist", sagt der 57-Jährige. Zwischen den blassbeigen Autoreihen auf dem Parkplatz stehen Männergruppen, lachen, diskutieren, rauchen. Ein bis zwei Stunden kann es dauern, bis die Fahrer, die von einer Tour zurückkommen, wieder am Terminal Fahrgäste einladen können. Da bleibt viel Zeit.

Um die zu nutzen, hat Cavusoglu vor einem Jahr angefangen, ein paar der rund 500 Bücher, die bei ihm zu Hause im Regal stehen, in seinen Kofferraum zu laden und an seine Kollegen zu verleihen. So sollten die Parkplatzgespräche interessanter werden. "Früher haben wir in den Wartezeiten immer nur gequatscht", bemängelt der Mann mit den kurzen grauen Haaren, der seit drei Jahren Taxi fährt. Seine Augen lachen verschmitzt hinter der Brille, die Hände stecken in der offenen Jacke vor dem kleinen Bauch. Vor allem um Fußball sei es in den Gesprächen gegangen, erzählt er. "Da habe ich ja nichts gegen, aber es gibt doch Wichtigeres." Politik, Wirtschaft, Umwelt, das sind die Themen, über die sich Cavusoglu, der in der Türkei Lehrer war, gerne mit seinen Kollegen unterhalten wollte.

Dahin führen sollte die entsprechende Lektüre. Ködern wollte Cavusoglu die anderen Taxichauffeure zunächst jedoch mit literarischen Klassikern - und da auch gleich mit den ganz harten Nummern: "Ich habe angefangen mit Dostojewski und Tolstoi, damit die Kollegen auf den Geschmack kommen." Cavusoglu nickt bekräftigend. Inzwischen verleihe er aber vor allem Sachbücher. 15 bis 20 Stück pro Woche, seine Abnehmer sind viele Taxifahrer auf dem ganzen Flughafen. Ihre Namen hat Cavusoglu eigentlich auf einer Liste vermerkt. Doch manchmal verleihen sie die Bücher ebenfalls weiter, und Mahmut Cavusoglu verliert den Überblick. "Weg ist weg", sagt der Vater von zwei Kindern und zuckt mit den Schultern. "Dann kaufe ich das Buch eben noch mal."

Rund 20 Bände hat er immer in seinem Kofferraum dabei - im Fach mit dem Ersatzrad. "Oben muss ich das Gepäck meiner Fahrgäste verstauen, aber neben dem Reifen ist doch noch viel Platz", sagt er und zieht die Klappe im Boden des Kofferraums hoch. Hier liegt Dostojewski neben Tolstois "Krieg und Frieden" und einem Sachbuch zu finnischer Geschichte, alles auf Türkisch. Aber auch "Kemal Atatürk und die moderne Türkei" auf Deutsch, das Cavusoglu frisch bestellt hat, wie er stolz erzählt. "Das ist für jüngere türkische Kollegen - die lesen lieber auf Deutsch", erklärt er.

Rund 20 Bücher im Monat kaufe Cavusoglu bei ihm, berichtet Ulas Ballikaya. Er ist Inhaber der Regenbogen-Buchhandlung in Kreuzberg. "Wenn ihm eins gefällt, dann bestellt er oft gleich mehr", berichtet der Buchhändler über seinen Stammkunden. Kein Wunder: Cavusoglu erzählt, dass er neben dem Verleih für seine türkischen Taxifahrer-Kollegen eine Art Bestellservice bei der Buchhandlung eingerichtet habe. Wenn er in größeren Mengen bestelle, seien die oft aus der Türkei importierten Bücher billiger. "Ich möchte, dass die Buchhandlung mehr verkauft. Die Leute in Berlin interessieren sich so wenig für Bücher", sagt er in gebrochenem Deutsch. "Schenken Sie bitte Bücher!" sei sein regelmäßiger Appell an Kollegen, Freunde und Bekannte.

Seinen Kollegen Kemal Aslankoc muss Cavusoglu nicht mehr vom Lesen überzeugen. Der gelernte Buchhalter beschäftigt sich vor allem mit politischen Sachbüchern. Gerade liest er ein Buch namens "Takunyali Führer". Das Buch thematisiere Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Regierung, erklärt er. Es zeigt auf dem Cover den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan im Hitler-Look. "Wir machen uns große Sorgen um die Türkei", sagt Aslankoc.

Wir - das seien er, Cavusoglu und eine Gruppe von etwa 15 türkischen Kollegen. Mit Lesen, Quatschen und Herumlaufen vertrieben sie sich das lange Warten in Tegel, so Aslankoc, der seit vier Jahren Taxi fährt. "Früher waren wir vereinzelt, jetzt haben wir mehr Gleichgesinnte gefunden." Sie alle tauschen ihre Bücher untereinander aus, dabei bleiben sie meist unter sich. Mit den deutschen Taxifahrern, die vorne am Wartehäuschen Karten spielen, und mit Kollegen anderer Nationalitäten hätten sie kaum etwas zu tun, sagt Aslankoc. "Ein großer Verleiher" sei Cavusoglu, würdigt ihn Aslankoc. Doch auch der gebe seine Bücher vor allem an Landsmänner aus.

Das mag an den politischen Themen der Bücher liegen, aber auch daran, dass es in Tegel so viele Taxen gebe, meint Nejat Tezel. Er fährt sei drei Jahren Taxi und kennt auf dem Flughafenparkplatz neben Cavusoglu und Aslankoc nur eine kleine Gruppe von Kollegen. In Schönefeld sei alles viel kleiner, sagt er, dort kenne er fast alle Fahrer. Seit drei Jahren fährt er Taxi. Seitdem lese er viel mehr, vor allem, wenn es kalt ist. Lesestoff bekomme er auch durch die Empfehlungen der Kollegen. "Aber gerade arbeite ich noch die Bücher ab, die ich aus meinem Sommerurlaub in der Türkei mitgebracht habe." Erst danach will Tezel wieder anfangen, mit den anderen Taxifahrern Bücher zu tauschen.

An den kleinen Kreis verleihe er seine Mitbringsel gerne, aber nicht darüber hinaus. "Dafür", sagt er, grinst und zeigt auf Mahmut Cavusoglu, "müssen Sie den Profi fragen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!