Tausende zu Unrecht abgeschoben: UN rügt deutsche Asylpolitik
Deutschland soll tausenden Flüchtlingen ihren Asylstatus zu Unrecht entzogen haben, urteilt das UN-Flüchtlingskommissariat. Vor allem Iraker sind betroffen
BERLIN taz Deutschland hat in den vergangenen Jahren nach Ansicht des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) zu Unrecht tausenden anerkannten Flüchtlingen ihren Asylstatus wieder entzogen. Die Widerrufspraxis verstoße gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und das Europarecht. Zu diesem Urteil kommt ein Gutachten des UNHCR für den Europäischen Gerichtshof.
Die UN-Organisation kritisiert, dass Deutschland bereits dann den Flüchtlingsstatus aberkennt, wenn sich die Umstände im Heimatland so verändert haben, dass keine Verfolgung mehr droht. Nach der Flüchtlingskonvention aber müsse auch gewährleistet sein, dass die Behörden im Herkunftsland die Betroffenen wirksam schützen und diese in Sicherheit und Würde leben könnten. Dies sei etwa im Irak bis heute nicht erfüllt.
Doch sei seit dem Sturz Saddam Husseins mehr als 17.000 Irakern der Flüchtlingsstatus aberkannt worden. Die durch tägliche Anschläge geprägte Sicherheitslage, die prekären Lebensverhältnisse und die faktisch fehlende staatliche Autorität in Teilen des Landes seien nicht berücksichtigt worden. Zwar habe, so ein UNHCR-Sprecher, die Bundesregierung den Umgang mit den Irakern inzwischen korrigiert. Ein großer Teil sei wieder anerkannter Flüchtling. "Dieses Wechselbad und die damit verbundenen existenziellen Sorgen hätte man den Betroffenen ersparen können."
Der Status aller anerkannten Flüchtlinge wird seit 2005 nach drei Jahren automatisch überprüft. Von Widerrufen waren seitdem nicht nur Iraker betroffen. "Auch bei Flüchtlingen aus der Türkei wird dieses Spiel häufig getrieben", sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Die Behörden würden den Flüchtlingen den Asylstatus aberkennen, allein in den vergangenen 18 Monaten in fast 4.500 Fällen. "Die Entscheide werden von Gerichten häufig aber wieder kassiert."
Das Bundesinnenministerium weist Kritik zurück. "Wir legen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht fehlerhaft aus", sagte Sprecher Stefan Paris. Für die Anerkennung von Flüchtlingen sei das Kriterium Verfolgung entscheidend und nicht die allgemeine Sicherheitslage.
Auch an den deutschen Gerichten ist die Rechtslage umstritten, deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht den Europäischen Gerichtshof um Klärung gebeten. Erwartet wird eine verbindliche Auslegung, welche Kriterien bei Beendigung des Flüchtlingsstatus anzuwenden sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin