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Tausche klein und Neubau gegen groß und Altbau, mache Urlaub in Berlin. Und denke ans Eichhörnchen BowieAls Gast in einem früheren Leben

Ausgehen und Rumstehen

von Detlef Kuhlbrodt

Der Urlaub hatte zufällig begonnen. Am Morgen hatte A. angerufen, ob ich ihr helfen könne. Sie hatte Kunstwerke verkaufen wollen, aber es hatte leider nicht geklappt, und auf der Rückfahrt hatte sie sich mit dem Taxifahrer gestritten, der plötzlich mehr Geld hatte haben wollen. Und nun stand sie an der Straßenecke mit drei Kunstwerken, und ich half ihr, die Kunstwerke nach Hause zu bringen.

Wir hatten noch einen Kaffee in der Sonne getrunken, und sie hatte erzählt, dass sie in ein paar Stunden für einige Tage nach Schweden fahren würde, und ich hatte angeboten, auf ihre Wohnung aufzupassen. Damit die Wohnung nicht plötzlich wegrennt und nicht mehr da ist, wenn sie zurückkommt.

Am Nachmittag ging ich in die Wohnung. Ich hatte eine alte hellblaue Jeans an, die schon ziemlich kaputt war, aber frisch gewaschen und ein blaues T-Shirt. Der Weg ist nicht weit, auch wenn die Gegend ganz anders ist. Ich kenne das Haus gut; ich hatte hier fast zwanzig Jahre lang in unterschiedlichen Wohnungen gelebt. Und nachdem ich alle Wohnungen wie der Held in Kotzwinkels Erzählung „Fan Man“ verwüstet hatte, war ich weitergezogen.

Meine Wohnung ist klein und Neubau; die Wohnung von A. ist groß und Altbau. Auch As Wohnung kenn ich schon lange. Alles fühlt sich ganz anders an. Die Erinnerung sagt, das bin ich. Ich fühle mich zu Hause im emphatischen Sinne. Aber es ist eben auch früher, also nicht mehr. Ein bisschen bin ich auch Gast in einem früheren Leben, auch wenn alles anders aussieht. Ein bisschen ist es auch so ähnlich wie als Kind, wenn die Eltern weg waren und man die Wohnung untersucht hat.

Ich trinke und rauche auf dem blauen Ledersofa und bin ganz begeistert von den vielen Fernsehprogrammen, die ich auf dem kleinen Fernseher gucke, der vermutlich auch schon 15 Jahre alt ist. In meinem Antennenfernsehen gibt es nur deutschsprachige Sender; in A’s Wohnung gibt es französisches Fernsehen, CNN und BBC.

Sie reden über Trump im dreigeteilten Schirm; das Zahnweh hat sich wieder in den Hintergrund zurückgezogen. Beim Drehen krümele ich den Glastisch vor dem Sofa zu. Alles ist perfekt. Ich schlafe gut, obgleich es keine Vorhänge gibt.

Ich mach selbst ausgedachte gymnastische Übungen und gehe spazieren in der Gegend. Vor ein paar Tagen war der zehnte Todestag von Harald ­Fricke. Ich gehe auf den Friedhof in der Bergmannstraße, finde aber sein Grab nicht mehr. Ich variiere unterschiedliche Wege, aber finde es nicht, dafür treffe ich ein kleines Eichhörnchen. Es erinnert mich an das Eichhörnchen Bowie, das über ein Jahr auf meinem Balkon gewohnt hatte und dann verschwunden war. Ich sage, hallo, wie geht’s, es bleibt aber nur kurz und läuft dann mit einer Walnuss, die es im Boden zwischen Grab und Baum gefunden hat, wieder davon. Anstatt noch weiter mit mir zu reden.

Den halben Tag höre ich CDs. Vor allem Disco, Northern Soul, Reggae, Boards of Kanada. A. hat wahnsinnig viele CDs. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge für eine Nacht allein im Plattenladen. Die Boxen sind sehr gut; die Musik klingt klasse in dem großen Raum. Das Licht ist schön in der Wohnung am Abend und auch der Blick aus dem Fenster.

Alles ist wie Urlaub an diesem langen Wochenende, und wie im Urlaub gibt es unterschiedliche Phasen; am ersten Tag ist man total geflasht, alles ist neu, obgleich es vertraut ist, es ist auch, als wäre man untergetaucht, weil kaum jemand weiß, dass man hier ist. Man träumt vom nomadischen Leben. Dann bildet man Gewohnheiten, die Tage vergehen schneller gegen Ende. Man frühstückt ein letztes Mal und blickt auf die Straße am Sonntagvormittag. Eine junge Frau, in jeder Hand ein Bier, geht mit leicht übertrieben optimistisch entschlossenem Schritt vermutlich zurück zu ihrer Afterhour. Und zu Hause fühlt sich später dann wieder alles anders an.

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