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Tausche Endlager gegen Parlamentssitz

■ Die Regierung Thatcher bricht Probebohrungen für umstrittene Endlagerstätten ab / Sieg für lokale Atomkraftgegner / Opposition spricht von Opportunismus / Bis die Entsorgung geklärt ist, wird Atommüll in offenen Erdgruben gelagert

Aus London Rolf Paasch

Die Bohrtrupps der britischen Entsorgungsfirma NIREX trauten am Freitag ihren Augen nicht, als jubilierende Anwohner der vier potentiellen Endlagerstätten in einer Fahrzeugeskorte auf die Bohrgelände fuhren und die Sektkorken knallen ließen. In einer völlig überraschenden Erklärung hatte Umweltminister Nicolas Ridley am Freitag morgen im Unterhaus das Ende aller Endlagerpläne für die vier potentiellen Lagerstätten erklärt, an denen im letzten Jahr bereits 15 Mio. Pfund (60 Mio. DM) verbohrt worden waren. „Da seht ihr mal, was Proteste und der Druck der Öffentlichkeit erreichen können“, frohlockten die vier Bürgerinitiativen in Fulbeck, Elstow, Bradwell und Killingholme. Und während der Sieg über die Atomindustrie vor Ort bis in die Nacht gefeiert wurde, reagierten Oppositionsparteien und Umweltschützer in London mit Spott und Hohn auf die überhastete „politische Entsorgung“ der Endlagerpläne durch die Regierung Thatcher. „Ein platter Versuch, sich in den Wahlkreisen eine Schlappe zu ersparen“, kommentierte der umweltpolitische Sprecher der Labour–Partei. Geheime Meinungsumfragen über die sinkende Popularität in den vier, von konservativen Abgeordneten gehaltenen Wahlkreisen, so vermutete man auch im Lager der Atomkraftgegner, haben die Regierung Thatcher zur bisher schnellsten Kehrtwendung in ihrer Geschichte getrieben. Denn Minister Ridley gab den Bohrstopp genau einen Tag, nachdem ihn NIREX über die steigenden Kosten der Endlagerung in den geplanten 15 Meter tiefen Betonbecken informiert hatte, bekannt. Mit der Entscheidung vom Freitag wird die ohnehin mehr als fragwürdige Entsorgungspolitik der Tories um eine weitere Dekade zurückgeworfen. Die Pläne für die Tiefenlager, in die nunmehr neben den mittel–radioaktiven Abfällen auch der leicht radioaktive Atommüll endgelagert werden soll, sind nämlich noch völlig unausgereift. Zur Diskussion steht u.a. die Lagerung in unterirdischen Stol len unter dem Meeresboden oder auf einer der zahlreichen unbewohnten Inseln in schottischen Küstengewässern. Vor dem Anbruch des nächsten Jahrtausends ist jedenfalls mit der Aufnahmebe reitschaft solcher Lager nicht zu rechnen. Derweilen werden die wöchentlich 50 Lastwagenladungen leicht radioaktiven Abfalls weiterhin auf die Atommülldeponie von Drigg, nur unweit der Atomanlage von Sellafield, in ein offenes Erdloch gekippt; eine Entsorgungstechnik, die ein Allparteien–Ausschuß des Unterhauses bereits vor einem Jahr als völlig unzureichend bezeichnet hatte.

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