Tauchurlaub auf den Philippinen: Unter friedlichen Riesen
Walhaie tummeln sich vorm Küstenort Donsol. Besucher dürfen mit den größten Fischen der Welt schwimmen. Eine Herausforderung für den WWF
„Get ready!“ Schon wieder schallt dieser elektrisierende Ruf übers Boot. Jetzt heißt es fix sein: Flossen an, Tauchmaske auf, Schnorchel in den Mund und auf den Bootsrand schwingen. Herzklopfen, noch mal an der Maske fummeln. „Go, go“, ruft der drahtige Mann im Ausguck. Wir gleiten ins Wasser und nach einigen kräftigen Flossenschlägen ist er direkt vor uns: ein Walhai. Keine andere Fischart auf der Welt wird so groß wie dieser friedliche Planktonesser. Die erste Begegnung mit dem schwimmenden Koloss verschlägt mir den Atem. So mächtig wirkt das Wesen, das zum Greifen nahe durch das Meer vor dem philippinischen Küstenort Donsol pflügt. Der mit weißen Tupfen und Strichen markierte Rücken ist breit wie ein Boot, das weit geöffnete Maul gleicht einer gewaltigen Luke. Nur kurz zeigt sich der „Butanding“, wie der Gigant im lokalen Dialekt heißt, dann taucht er in die Tiefe. „Das war ein kleiner Walhai“, meint unser Führer, „der war höchstens acht Meter lang.“
Das Abenteuer, mit den oft mehr als 10 Meter langen Fischen zu schnorcheln, kann man nur an drei Orten weltweit haben. Außer in Donsol haben die „Gentle Giants“ feste Futtergründe vor der Küste Westaustraliens und Belizes. Dort ist das touristische Spektakel indes weitaus kommerzialisierter und teurer als in dem kleinen Nest im Süden der größten philippinischen Insel Luzon. Bereits seit Jahrzehnten tauchen zwischen Dezember und Mai Walhaie in den Gewässern vor Donsol auf. Sie gehörten zum Jahresablauf wie die Regenzeit, niemand scherte sich um sie. Das änderte sich Anfang 1998, als Berichte in Medien Wissenschaftler und Taucher anzogen. Groß war die Aufregung über den unbeachteten Sammelplatz dieser nahezu unerforschten Fischart. „Wir wussten gar nicht, was los ist“, erinnert sich Elsa Macandog, die heute in Donsols Touristenbüro arbeitet.
Geschäftemacher witterten indes fette Beute. Denn Fleisch und Flossen der auch „Tofu-Haie“ genannten Riesen werden in asiatischen Nachbarländern als kulinarische Delikatesse und Aphrodisiakum geschätzt. In Taiwan etwa soll ein erlegter Walhai bis zu 12.500 Euro bringen. Lokale Fischer wurden mit einem Bruchteil dieser Summe abgespeist, doch mehr als das übliche Einkommen von ein bis zwei Euro am Tag war es allemal. Ein unkontrolliertes Abschlachten begann, das international Proteste auslöste. Dem World Wide Fund for Nature (WWF) gelang es, sich in dem sonst in Umweltfragen wenig sensiblen Inselstaat Gehör zu verschaffen. Noch 1998 wurde das Jagen von Walhaien landesweit verboten und ein 15 Kilometer ins Meer reichendes Schutzgebiet vor Donsol geschaffen. Seither dürfen einheimische Auslegerboote nur noch in friedlicher Mission ausfahren.
„Wir mussten die Anwohner erst überzeugen, dass kontrollierter Tourismus eine langfristige Chance ist“, berichtet WWF-Pressesprecherin Louella Beltran. „Es gab keinerlei Infrastruktur, keine Transportmittel und niemand, der mit den Touristen raus aufs Meer wollte.“ Heute ist das alles anders. Über dem brandneuen Touristenbüro prangt stolz der Slogan: „Donsol, Whale Shark Capital of the World“. Resorts sind entstanden, Busse pendeln zum Flughafen der nahe gelegenen Provinzhauptstadt Legaspi. Mehr als 300 Arbeitsplätze hat der Walhai- Tourismus geschaffen. Im vergangenen Jahr kamen fast 7.300 Besucher, knapp 25 Prozent waren Ausländer. 2006 wird ein Rekordjahr: „Wir liegen 15 Prozent über den Vorjahreszahlen“, freut sich Elsa Macandog.
In den Spitzenmonaten März bis Mai geht es rund, doch alles ist gut organisiert: Registrierung ausfüllen, fünf Euro Schutzgebühr zahlen, Info-Video anschauen. Ab acht Uhr früh werden die akkreditierten Boote, und noch viel wichtiger, einer der 36 Butanding Interaction Officer (BIO) zugeteilt. Sie springen mit den Besuchern ins Wasser, führen sie zum Walhai und schwimmen mit, bis der etwa 5 km/h schnelle Fisch abtaucht. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, den Walhai vor übereifrigen Touristen zu schützen, die ihn anfassen oder gar auf dem massiven Rücken reiten wollen. „Es gibt einen strikten Verhaltenskodex, der von allen eingehalten werden muss: Anfassen ist absolut tabu, der Mindestabstand zum Fisch ist drei Meter. Tauchen ist nicht erlaubt, nur Schnorcheln. Maximal sechs Touristen dürfen in ein Boot. Jeder Walhai darf nur von einem Boot angefahren werden. Diese Regeln muss jeder BIO bei der Ausbildung pauken“, erklärt Louella Beltran.
Die Realität kann ernüchternd sein. „Der Typ hat mich gerade aufgefordert, auf dem Walhai zu reiten“, sagt ein Hamburger Arzt entgeistert, nachdem er sich ins Boot gehievt hat. „Der Typ“ ist ein BIO mit der Figur eines Bodybuilders, der nach eigenen Angaben seit drei Jahren mit Touristen über Bord geht und sich über die Entrüstung des Deutschen nur wundert. Der Verhaltenskodex ist ihm offenbar piepegal. Jun Abordo ist ein anderes Kaliber. „Ich bin von Anfang an dabei, seit acht Jahren“, sagt der dreimalige Familienvater stolz. Auf seinem linken Brustmuskel, da wo das Herz sitzt, hat er ein Walhai-Tattoo. Er mag seinen Job, „unser Leben ist jetzt besser. Während der Saison verdiene ich sehr gut, fast acht Euro am Tag.“ Und nach der Saison? „Bin ich wieder Fischer und arm.“ Er ist ein behänder Schwimmer, beobachtet das Treiben der Touristen und anderer Boote. Als plötzlich drei Boote gleichzeitig Gas geben, weil sie den typischen großen Schatten unter der Wasseroberfläche erspäht haben, lässt er sein Boot abdrehen. Kein Problem, denn insgesamt sichtet Jun an diesem Morgen 18 andere Walhaie für seine Gäste. Dabei fallen immer wieder Narben und frische Wunden an Flossen und Rücken der Kolosse auf. Sie werden von den Schrauben der Boote gerissen. Ab nächstem Jahr sollen zumindest die Touristenboote keinen Schaden mehr anrichten. „Dann wird ein Kasten um die Schrauben Pflicht“, verspricht die WWF-Sprecherin. Auch das krasse Fehlverhalten einiger BIOs ist den Tierschützern ein Dorn im Auge. „Vermutlich wollen manche Führer sich in Szene setzen“, ärgert sich Beltran. Geahndet werden Verstöße gegen den Verhaltenskodex vermutlich nicht. Das zuständige Tourismusministerium blieb jedenfalls trotz mehrfacher Anfrage eine klare Antwort schuldig.
Walhaie sind bisher weitestgehend unerforscht, es gibt keine genauen Angaben zu Populationszahlen oder Maximalgröße (12 bis 18 Meter). Gesichert ist, dass es die größte Fischart der Welt ist. Walhaie sind völlig friedliche Haie, ihre Nahrung besteht aus Plankton, Krill und kleinen Fischen. Es sind migratorische Meeresbewohner, die saisonal anzutreffen sind. Die Migrationswege sind ebenfalls ungeklärt.
Donsol liegt 550 Kilometer südöstlich der philippinischen Hauptstadt Manila. Mit dem Bus dauert die Anreise etwa 14 Stunden, der Flug von Manila zur Provinzhauptstadt Legaspi hingegen nur 45 Minuten. Von dort pendeln Busse nach Donsol. Die Fahrzeit beträgt etwa 90 Minuten.
Unterkunft: Gut gelegen sind das Woodland Beach und das Vitton Beach Resort (Zimmer 12 bis 26 Euro).
Hauptsaison ist März bis Mai, die meisten Walhaie sieht man morgens.
Trotz offensichtlicher Schwächen im System will der WWF an dem Projekt Öko-Tourismus festhalten. „Wir wissen, dass es nicht die Antwort auf alle sozioökonomischen Probleme der Philippinen ist. Aber wir glauben, dass von nachhaltigem Tourismus auf lange Sicht Menschen und Meeresbewohner profitieren können“, meint WWF-Projektmanager Ruel Pine. „Ein Hauptproblem ist, dass ein Großteil der Einnahmen aus dem Tourismus in Behörden versickert und Fluglinien und Reiseagenturen reicher macht.“ Lediglich 20 Prozent des Profits - 2005 waren es 623.000 US-$ - blieben in Donsol. „Daran müssen wir arbeiten, dann wird auch bereitwilliger in den Umweltschutz investiert.“
Bisher ist Donsol ein Geheimtipp: „Wenn es so eine Attraktion in Europa gäbe, kämen täglich Tausende. Hier sind nur ein paar Dutzend Leute draußen. Das ist doch ein Hit“, meint ein stämmiger Hesse, der seit Jahren die Philippinen bereist.
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