"Tatort"-Krimi aus Münster: Bei den WDR-Produktionen gehts bergab
Die Sozioreportage aus der Welt der Spargelstecher ist nur ein Vorwand, um die beim Publikum so beliebten Sprüche los zu werden (Sonntag 20.15 Uhr, ARD).
HAMBURG taz | An einen Baum gelehnt schiebt ein Liebespaar im Halbdunkel neben dem Spargelfeld lautstark eine nächtliche Nummer. Gerichtsmediziner und Genussmensch Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) doziert derweil bei einem späten Luxus-Dinner – der 100-Euro-Wein macht seine Zunge locker – über die luststärkende Wirkung des Asparagus. Und dann hat sich zur gleichen Zeit auch noch der Vater vom Kollegen Thiel (Axel Prahl) auf eine Spargelhof geschlichen, um dort heimlich ein paar Stangen zu stechen.
Kurzum: In dieser feucht-fröhlich beginnenden Münsteraner „Tatort“-Episode geht es in unterschiedlichen Varianten ums goldige Gewächs, und weil man im WDR-Revier zum Putzigen neigt, hätte ein frivoles Lustspiel um Mord und Gemüse daraus werden können. Doch das war den Verantwortlichen offensichtlich nicht genug, und so werden ganz unpassend allerlei brisante Themen zusammengemischt: Es geht um die Arbeitskräfteausbeutung innerhalb der EU, es geht um Fremdenfeindlichkeit in der westfälischen Provinz, und es geht um ein grausames Sexualverbrechen.
Denn die Frau des Spargelbauern Martin Pütz (Jörg Hartmann, der böse Stasi-Bruder in „Weissensee“), die wir am Anfang bei der Nummer auf dem Acker beobachten konnten, liegt bald mit dem Spargelstecher aufgeschlitzt auf dem Hof. Es ist das zweite Unglück, das die Familie heimsucht: Ein Jahr zuvor wurde die Tochter vergewaltigt. Und wie eine DNA-Untersuchung ergibt, ist das Sperma in der Leiche der Mutter das gleiche wie einst bei der missbrauchten Tochter.
Es ist schon erstaunlich, wie es bei den beiden WDR-„Tatorten“ zurzeit immer weiter mit dem Niveau bergab geht. Die immer gleichen Regisseure und Autoren zimmern für Köln und Münster Storys zusammen, in denen die Sozioreportage nur den Vorwand gibt, damit die Ermittler ihre beim Publikum so beliebten Sprüche loslassen können. Die Quoten sind deshalb immer phänomenal, die Plots zumeist haarsträubend.
„Spargelzeit“ (Regie: Manfred Stelzer, Buch: Jürgen Werner u.a.) erweist sich nun als ein besonders scheußliches Beispiel für diese Mixtur, weil man sich hier nicht gescheut hat, den Vergewaltigungsfall über einen erotisch aufgeladenen Schabernack abzuhandeln – ein 90minütiger Spargelstecherwitz von Krimi ist dieser Folge geworden. Frivol? Obszön!
Der "Tatort Spargelzeit", Sonntag, den 10.10.2010, 20.15 Uhr, ARD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?