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Archiv-Artikel

Tatort ARD

„Die Spitze des Eisbergs“: Nach dem Schleichwerbeskandal beurlaubt die Bavaria-Filmproduktion ihren Geschäftsführer Thilo Kleine vorläufig

von Steffen Grimberg

Ein junger Mensch als kaltblütiger Heckenschütze, brutale Killerspiele am Computer und dann werden auch noch die Kommissare höchstselbst bedroht: Nein, der heutige „Tatort: Todesengel“ mit seiner Stahlwerkkulisse (Kurzkritik siehe „Wochenendkrimi“) bietet kein stimmungsvolles Werbeumfeld für so honorige Organisationen wie die CMA, die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft („Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch“). Bei freundlicheren Folgen der ARD-Prestigekrimireihe sah das allerdings ganz anders aus.

„Es gibt bisher unter anderem Hinweise auf Produktplatzierungen oder finanzielle Gegenleistungen Dritter bei drei Folgen des „Tatort“ aus Münster und einer Folge des „Tatort“ aus Köln“, reagierte diese Woche der verantwortliche WDR mit dürren Worten auf übereinstimmende Presseberichte, nach denen die CMA und die staatliche Lotto-Gesellschaft hier zum Beispiel in „Stoffentwicklung“ investiert hatten. „Unsere Prüfungen werden derzeit intensiv fortgesetzt, um so schnell wie möglich verbriefte Erkenntnisse zu haben, auf deren Grundlage gegebenenfalls auch Konsequenzen zu ziehen sein werden.“ Als Produktionsfirma steht hinter beiden „Tatorten“ die Bavaria-Tochter Colonia Media. Doch nicht nur der NRW-Ableger der mehrheitlich von den ARD-Anstalten WDR, MDR, BR und SWR getragenen Bavaria ist nach den ersten Prüfergebnissen des SWR und der eilig zugezogenen Unternehmensprüfer von KPMG von Schleichwerbung betroffen.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, trifft es auch mindestens drei Bienzle-„Tatorte“, die die Bavaria-Tochter Maran-Film produziert. Und noch ein Ableger der drittgrößten deutschen Produktionsholding machte vom Rundfunkstaatsvertrag verbotene Geschäfte: Bei der Saxiona Media in Leipzig traf es die „Sachsenklinik“.

Gut vier Wochen, nachdem der öffentlich-rechtliche Schleichwerbeskandal in der Vorabendsoap „Marienhof“ öffentlich gemacht wurde, zeigt sich, wie stark die gesamte ARD betroffen ist. Und es sind nicht nur die industriell gefertigten Produktionen von der Stange, sondern auch die Königsdiziplinen wie der „Tatort“, bei denen unerlaubte Werbung ins Programm geschleust wurde. Die Coolness, mit der die ARD derzeit auf diese – garantiert nicht letzten – Enthüllungen reagiert, zeigt vor allem: Es ist wirklich nur die „Spitze des Eisbergs“, die bisher bekannt ist. Dass hatte WDR-Rundfunkratschef Reinhard Grätz gleich zu Beginn der Affäre zu Protokoll gegeben – offenbar wissen zumindest manche Anstaltsgranden, was noch alles auf sie zukommt.

Beim Kölner Medienforum Anfang der Woche herrschte ebenfalls überwiegend Achselzucken: Schließlich sei den Produktionsinsidern die Branchenpraxis seit Jahren bekannt, jetzt komme es eben heraus. Die ARD spielt auf Zeit – und bemüht eine Hinhaltetaktik, die nur daneben gehen kann. Am besten ist das wiederum bei der Bavaria selbst zu besichtigen: Wegen der „Marienhof“-Vorwürfe wurden in der vergangenen Woche zwei untergeordnete Mitarbeiter entlassen, Geschäftsführer Thilo Kleine aber lediglich wegen „Organisationsversagens“ abgemahnt. Gestern wurde Kleine im Zuge des Skandals „vorläufig beurlaubt“. Der Geschäftsführer und Filmproduzent („Speer und Er“) soll nach Angaben des WDR zu neuen Vorwürfen angehört werden. Der gekündigte ehemalige „Marienhof“-Chefproduzent Stephan Bechtle, so die Agentur epd, wehrt sich gegen den Eindruck, er sei einer der Hauptverantwortlichen in der Affäre. Vielmehr sei er von „anderer Stelle“ in arbeitsrechtlich relevanter Weise zu den unerlaubten Nebengeschäften mit einer Münchner Schleichwerbeagentur veranlasst worden.