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Tarifvertrag in der MetallindustrieIG Metall verfehlt Ziel

Der Arbeitskampf in der Metallindustrie wurde in letzter Minute abgewendet. Nach einem Verhandlungsmarathon einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft auf einen Kompromiss.

Ausgehandelt hat die IG Metall nur gut die Hälfte - nämlich bestenfalls 4,2 Prozent mehr Lohn. Bild: dpa

SINDELFINGEN taz Berthold Huber fand es normal, dass während Tarifverhandlungen auch mal Tassen fliegen. Neben dem Chef der IG Metall saß sein Widersacher, Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser, und seufzte aus tiefer Seele. Als die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie gestern im baden-württembergischen Sindelfingen vor müde Journalisten traten, gingen nach fast 24 Stunden die wichtigsten und schwersten Tarifverhandlungen seit langem zu Ende.

Die Beschäftigten erhalten nun vom 1. Februar 2009 an 2,1 Prozent mehr Geld. Die volle Erhöhung der Entgelte von 4,2 Prozent soll von Mai an gelten. Allerdings kann dieser Schritt - je nach wirtschaftlicher Situation in den Betrieben - um bis zu sieben Monate aufgeschoben werden. Für November 2008 bis Januar 2009 wird zudem eine Einmalzahlung von insgesamt 510 Euro gezahlt. Im September 2009 soll es eine weitere Zahlung von 122 Euro geben - sofern es sich der Betrieb leisten kann.

Die Metall- und Elektroindustrie ist mit ihren 3,6 Millionen Beschäftigten in 23.000 Betrieben und einem Umsatz von 947 Milliarden Euro im Jahr eine Schlüsselindustrie der deutschen Wirtschaft. Noch zu Beginn der Verhandlungen sah es kämpferisch aus: Jörg Hofmann, IG-Metall-Bezirksleiter in Bande-Württemberg, bemaß die Chance auf eine Einigung auf unter 50 Prozent. Sein Pendant bei den Arbeitgebern, Jan Stefan Roell, sah beide Seiten "sagenhaft weit" auseinander. 2,1 Lohnerhöhung für 2009 plus Einmalzahlungen bot sein Verband. Die IG Metall forderte acht Prozent binnen einen Jahres und damit so viel wie seit 16 Jahren nicht mehr.

So wurden die Verhandlungen zu einem bizarren Katz- und Maus- Spiel. Man befinde sich in einer "schwierigen Ecke", sagte der Pressesprecher der Südwestmetall nach nur zweieinhalb Stunden den wartenden Journalisten. Nach drei weiteren Stunden wuchs sich die Sache bereits zu einer "ganz schwierigen Ecke" aus. Die Gespräche stockten. Zu internen Abstimmungen hatten sich die Arbeitgeber in ein benachbartes Hotel zurückgezogen. Dort verharrte der Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser gemeinsam mit dem Vorstand des Bundesverbandes. Ihre Zustimmung zu einer Einigung ist zwar formal für den Tarifverband Baden-Württemberg nicht notwendig, bei dem angestrebten Pilotvertrag für ganz Deutschland aber unerlässlich.

Immer wieder zogen sich die Verhandlungspartner im Laufe der Nacht in ihre Gremien zurück, zwei mal stand scheinbar eine Einigung bevor. Doch dann gab es Streit um die Finanzierung der Altersteilzeit, die ab Ende 2009 die Tarifparteien und nicht mehr der Staat bezahlen müssen. Am Ende verschob man das Problem auf weitere Verhandlungen.

Die IG Metall stand vor der schweren Aufgabe, gegenüber den Beschäftigten ihr Gesicht zu wahren: Als die Metaller in Baden-Württemberg im September mit acht Prozent den höchsten Gehaltsaufschlag seit 16 Jahren forderten, waren die vollen Ausmaße der Finanzkrise noch nicht abzusehen. Man forderte einen fairen Anteil am Aufschwung, verwies auf Gewinnsteigerungen der Branche um 220 Prozent von 2004 bis 2007. Später pries die Gewerkschaft höhere Löhne als förderlich für den Konsum in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Es sind die klassischen Argumente, mit denen beide Seiten aufeinander feuern: Die Arbeitgeber sprechen im Gegenzug bei zu hohen Lohnforderungen von Arbeitsplatzverlusten. Es gelte, die 250.000 neuen Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie, die in den letzten 30 Monaten geschaffen worden seien, über die Krise zu retten.

Nun kann sich jeder das Ergebnis zurecht rechnen: In der Lesart der IG Metall hat man schlicht 4,2 Prozent herausgeschlagen. Die Arbeitgeber dagegen rechnen vor, dass ein Betrieb pro Jahr mit 2,9 Prozent belastet wird. Betriebe, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, können mit dem Betriebsrat vereinbaren, die zweite Lohnerhöhung erst im Dezember 2009 einzuführen. Was zu einer Lohnerhöhung von 1,4 Prozent im Jahr führt. Während die Arbeitgeber den Abschluss allenfalls "erträglich" nennen, hat die IG Metall ihre hoch gesteckten Ziele weit verfehlt.

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4 Kommentare

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  • TK
    Tony König

    Mit 8% Lohnforderung, zeit- und geistverloren, mitten im Abschwung und mit der Finanzkrise im Nacken gestartet, wird nun - bereits vor Halbzeitpfiff - der freudige Wackeldackel gemiemt; da ballen sogar die Skelette unserer Großväter im Grabe wütend die Faust. Good night, IG Metall - Heavy Metall war vorgestern!

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    Tony König

  • RS
    Rainer Salm

    Na, na Herr Arzt: so müde sollte auch ein Journalist nicht sein, dass er falsch zitiert, und das noch im ersten Satz!

     

    In der Pressekonferenz fand es nicht Berthold Huber, sondern Herr Kannegieser normal, dass die Tassen fliegen (er fand also seinen eigenen Spruch von "nicht alle Tassen im Schrank" normal), während Berthold Huber in unmittelbarer Erwiderung darauf sagte "nicht jede Beleidigung bleibt im Sacko stecken", also einiges gar nicht so normal fand. So zumindest habe ich es gehört auf der Pressekonferenz, so zitiert es auch Herr Schiermeyer korrekt in der heutigen Stuttgarter Zeitung.

  • JH
    Jürgen Hänsel

    Die hochgerechneten 4,2%(Brutto) sind propagandistische Tricks, um diesen an die wie nie zuvor kampfbereiten Kollegen zu verkaufen. Die 0,4% als Einmalzahlungen sind die Verrechnungen aus der im Sommer nicht beendeten Tarifrunde zur Alterszeit ! Dieser Abschluß ist ein Kniefall der IGM- Führung.

    Er bedeutet Lohnabbau und entspricht bei weitem nicht den Preissteigerungen von 7% Lebensmitteln und 15% Energiekosten (Netto)!

    So ein Abschluß kann von den IG- Metallkollegen nicht akzeptiert werden.

  • M
    Martin

    Ist doch klar, daß die Gewerkschaft schlechte Karten hatte: Die Wirtschaftskrise selbst und die Folge daraus, daß ein Streik ein stumpfes Schwert gewesen wäre angesichts von deutlichen Produktionsrückgängen. Streik statt verlängerter Weihnachtsurlaub käme die Autobauer sogar billiger.