Tarifstreit: Mehr als nur ein Hungerlohn
Taxifahrer protestieren gegen geplante Tariferhöhung der Senatsverwaltung – stattdessen fordern sie für mehr Geld in ihren Kassen die Abschaffung der Warteminute.
Hüseyin Kocak traut sich was. Der Vorstand des Berliner Taxibunds (BTB) hat sein Taxi direkt vor dem Brandenburger Tor geparkt. „Dabei hat die Polizei eine Demo mit Wagen hier verboten“, sagt er. „Aber hier ist heute mein Sonder-Wartestand.“ Kocak und ein gutes Dutzend Taxifahrer stehen am Dienstagmittag rauchend auf dem Platz und verteilen gelb-schwarze Wimpel an Vorbeilaufende mit der Aufschrift „Alle reden vom Mindestlohn – wir auch!!!“
Was die Fahrer auf die Straße treibt, ist die Tariferhöhung um 5,8 Prozent, die die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung plant, die erste seit 2009. Warum die Fahrer gegen eine Erhöhung ihres Beförderungsentgelts sind, erklärt Tayfun Demir, seit 2005 im Beruf, so: „Das bringt nur ein paar Cents, dafür aber Mehrkosten, die wir unendlich lange abfahren müssten.“ 120 Euro würde die Umstellung des Tarifs kosten, rechnet er vor: 60 Euro für die Werkstatt und weitere 60 Euro fürs Eichamt, das die neue Uhr begutachten muss.
„Das Gutachten des Senats ist – auf gut Deutsch – Klopapier“, übersetzt das BTB-Vorstand Kocak. Aber passieren müsse trotzdem etwas für die Taxifahrer, fährt Tayfun Demir fort, denn vielen Kollegen gehe es so wie ihm: „Ich arbeite 60 Stunden pro Woche und bekomme dafür netto rund 800 Euro im Monat.“ Da er vier Kinder zu versorgen habe, beziehe er aufstockend Hartz IV. An manchen Tagen, ergänzt sein Kollege Joachim Schäfer, brächten sie nach zwölf Stunden Schicht nicht mal 100 Euro mit. „Davon bekommt der Fahrer rund 35“, so Schäfer.
Der BTB wurde vor eineinhalb Jahren gegründet als weitere Berufsvertretung neben Taxiinnung und Taxiverband Berlin. „Die haben gar nichts für uns getan“, sagt Fahrer Demir. Der BTB, der laut Kocak rund 400 Mitglieder vertritt, fordert statt Tariferhöhung die Abschaffung der Warteminute. Laut einem Gutachten aus Hamburg würde das 20 bis 24 Prozent mehr Umsatz schaffen, sagt Kocak. Die Warteminute, erklärt er, sorgt dafür, dass der Taxameter 88 Sekunden nicht läuft, wenn der Wagen anhält. Erst danach tickt die Uhr wieder. „Wenn Sie im Stau stehen, ist es ein ewiges Stop and go, die Warteminute wird immer wieder neu angefangen.“ Im Endeffekt koste eine Staufahrt den Kunden also nicht mehr als eine in flüssigem Verkehr, „aber wir haben laufende Kosten“.
Dabei stünden die Taxen ohnehin zu oft auf der Stelle, beschwert sich Kocak. 7.428 gibt es zurzeit in Berlin, das sei viel zu viel. Aber die Senatsverwaltung gebe jedem, der wolle, eine Konzession. Wenigstens eine Vergaberegelung für Konzessionen sei nötig, sagt der Taxiunternehmer. „Dann würde das der Markt von allein regeln.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern