Tarifstreit im Öffentlichen Dienst: Polizisten legen Waffen nieder
Erste Warnstreiks: Amtsmitarbeiter und Objektschützer der Polizei legen für zwei Stunden die Arbeit nieder. Der Senat soll heute ein Angebot für eine Tariferhöhung vorlegen, fordern sie.
Der Lärm vor der Zulassungsstelle in der Jüterboger Straße ist ohrenbetäubend. Zwar haben sich vor dem Kreuzberger Amt nur etwa 40 Mitglieder von Ver.di und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zum Warnstreik versammelt, doch sie machen Krach für 75.000 Betroffene. So viele Angestellte und Arbeiter sind nämlich in Berlin im öffentlichen Dienst tätig.
Dann ergreift Astrid Westhoff das Wort, die Megafone und Pfeifen verstummen. Sie ist Verhandlungsführerin der Gewerkschaften im Tarifkonflikt mit dem Land. "Wir werden die Tarifmauer niederreißen, die Berlin vom Rest der Republik trennt", ruft die drahtige Frau mit den kurzen grauen Haaren. Zustimmung unter den Streikenden.
Zwei Stunden lang - zwischen 11 und 13 Uhr - sind die Mitarbeiter der Zulassungsstelle und der Ausländerbehörde in Wedding am Montag im Ausstand. Zuvor hatten die Objektschützer vor vielen Botschaften und dem Wohnhaus von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus Protest pausiert. Sie alle wurden jedoch durch verbeamtete Kollegen, die nicht streiken dürfen, ersetzt.
Grund für den Kurzausstand: die Forderung nach einem neuen Tarifvertrag. Doch die Situation ist vertrackt: 2003 hatten die Gewerkschaften mit dem Senat einen Solidarpakt geschlossen. In Zeiten leerer Kassen und hoher Verschuldung hatte man sich auf eine durchschnittlich zehnprozentige Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich geeinigt, um Entlassungen zu verhindern. Erst 2009 läuft der Solidarpakt aus.
Aber so lange wollen die Gewerkschaften nicht mehr warten. Mit dem Verweis auf sprudelnde Steuereinnahmen und den ausgeglichenen Landeshaushalt 2008 fordern sie direkt die Leistung der drei verpassten Einmalzahlungen von je 300 Euro, die im öffentlichen Dienst in anderen Bundesländern 2005, 2006 und 2007 gezahlt wurden. Für 2008 wollen sie eine Tariferhöhung von 2,9 Prozent, wie sie in anderen Ländern bereits beschlossen ist.
Die rot-rote Landesregierung will erst nach Auslaufen des Solidarpakts eine Neuregelung. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sieht "keinen Grund", an dem bestehenden Tarifvertrag zu rütteln. Der Solidarpakt sei geschlossen worden, um die Zeit zu überbrücken, bis überflüssiges Personal abgebaut sei. Der Prozess sei noch nicht beendet.
Auch der grüne Haushaltsexperte Jochen Esser will am Solidarpakt festhalten. Wenn man die Einmalzahlungen leisten und den Tarif erhöhen würde, fehle das Geld an anderer Stelle, zum Beispiel bei den Kitas. Doch Wowereit gerät aus den eigenen Reihen unter Druck: Der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Christian Haß, unterstützte gestern die Position der Gewerkschaften.
Der Streik in der Zulassungsstelle hat unterdessen kaum Auswirkungen. Im Innern des Amtes ist wenig los, es gibt keine Warteschlangen. Auf den Gängen stehen Kamerateams, die verärgerte Bürger interviewen wollen. Die Reporter werden enttäuscht. Moin El-Hamed ist auf dem Weg nach draußen. "Ich hab keine halbe Stunde gewartet. Hier drinnen merkt man nichts vom Streik."
Auch Aysen Karabulut ist zufrieden. Sie war mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter bei der Ausländerbehörde in Wedding. "Alles lief reibungslos." Aber ist nicht das Ziel eines Streiks verfehlt, wenn der keinen stört? "Ganz und gar nicht", sagt Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Anke Gähme. "Wir wollen ja nicht die Bürger verärgern, sondern auf unser Anliegen aufmerksam machen. Und die meisten Bürger zeigen sich ausgesprochen solidarisch mit uns."
Wenn der Senat in seiner heutigen Sitzung kein Angebot formuliert, will sich die Tarifkommission der Gewerkschaften am Freitag treffen und über die nächsten Maßnahmen abstimmen. "Wir sind noch steigerungsfähig. Kein Bürger wird sich darüber ärgern, wenn er keine Knöllchen mehr bekommt", sagt Gähme. "Aber für den Senat würde es große Einnahmeausfälle bedeuten, wenn die Ordnungsämter streiken."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!