"Tape" am Deutschen Theater in Berlin: Erinnerung in der Endlosschlaufe
Stefan Pucher inszeniert Stephen Belbers "Tape" am Deutschen Theater in Berlin mit Nina Hoss. Ein Kammerstück mit überraschenden Wendungen.
Man kennt Stefan Pucher als einen Theaterregisseur, der in jedem Text den großen Raum sucht. Die große Geste, und sei es die einer Synchronstimme im Fernsehen. Ein Abend von Pucher ist größer als das Leben - larger than life. Deshalb liebt er Hallen, Mikrofone, Videos, Popmusik.
Und so erstaunt es, dass Pucher mit Stephen Belbers "Tape" ein Kammerstück inszeniert, in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, die die Platzverhältnisse im Namen tragen. Der Einsatz von Livevideo macht die Räume zwischendurch weit, doch Mief bleibt Mief.
Zwei braune Hotelbetten, Einblick in ein Bad, eine Kulissentüre und das Blinken der Neonschrift: Pucher hat mit seinem Bühnenbildner Nikolaus Frinke Realismus vorgetäuscht. Das passt gut zu diesem fintenreichen Stück. Aber wie soll man darin sprechen? Klein, groß, fiebrig, alltäglich? Selbst Schauspieler wie Bernd Moss, Felix Goeser und Nina Hoss können das an diesem kurzen Abend oft nicht beantworten.
"Tape" ist ein geradezu streberhaft gutes Stück, weil es drei Dinge mühelos verschränkt: filmische Dialoge, eine überraschende Wendung und ein Thema, das - von den Figuren unbemerkt - wie eine dunkle Wolke über der Szene schwebt. Es sind 70 Seiten über einen Vorabend in einem Motelzimmer in Lansing - Hauptort des Staates Michigan, Durchschnittshausen, USA.
Es geht um die Erinnerung als Endlosschlaufe
Zwei Männer, später kommt eine Frau dazu, reden zehn Jahre nach Ende der Highschool über ihre Jugend, über die Liebe und das Leben. Und über eine Vergewaltigung. Doch das sind nur Vehikel. Die Wahrheit steht im Titel selbst. Tape, das Band, wie in Tonband. Es geht um die Erinnerung als Endlosschlaufe, um den unmöglichen Versuch, Wahrheit oder Erlösung zu finden.
"Tape" ist wie eine Broadway-Version von Samuel Becketts "Krapps Last Tape" ("Das letzte Band"). Statt einer Selbsttäuschung wie bei Beckett schauen wir der Täuschung nun gleich im Dreieck zu. Der Endzwanziger Vince kehrt in seine Heimatstadt zurück, weil er seinen Schulfreund Jon treffen will, der beim Filmfestival sein erstes Werk zeigt.
Was Vince im Motelzimmer wirklich will aber, ist Rache: Weil seine ehemalige Freundin Amy vor zehn Jahren nicht mit ihm, sondern unmittelbar nach Beziehungsende mit seinem Kumpel Jon schlief, will er nun einer tieferen Wahrheit auf die Spur kommen - mit einem versteckten Kassettenrekorder in der Bier- und Drogentasche. Alles läuft auf ein Geständnis heraus: Ja, sagt Jon, ich habe sie gezwungen. Erst mit "linguistischem Druck", später dann mit den Armen.
Felix Goeser gibt Vince als narzisstisches Ekelpaket, der unter dem Banner der Wahrheit seinen alten Freund anschreit, dabei aber nur seine eigene Liebesunfähigkeit verarbeitet. Ein Spießer im Independent-Kostüm, mit Chucks und Flanellhemd am Körper und nebst zu vielen Drogen auch zu viel Selbstmitleid in der Birne.
Bernd Moss trägt als Filmemacher Jon etwas teureres Tuch und sehnt sich masochistisch nach Buße und Vergeltung. Man hört lange dem etwas leierhaften Tonfall zu und meint, schon alles richtig verstanden zu haben. Ein, zwei Bilder können aus der reinen Konversation ausbrechen und andere Räume öffnen: Kitschbilder auf dem Videoscreen, welche das Spiel auf der Bühne plastischer erscheinen lassen. Nur eine kann diese Schwebe später auch ohne Video halten. Amy, gespielt von Nina Hoss. Von den rund 70 Minuten, die dieser Abend dauert, spielt sie 25. Es sind die besten.
Hoss spielt aber auch die dankbarste Figur. Sie kommt von außen, hat ein Geheimnis und dreht das Geschehen komplett um. Sie spielt den Männern ihre Fantasie vor, die sie für Wahrheit halten, und verweigert ihnen selbst als reumütige Täter die Erlösung.
Rhythmisches Auslachen
Wie Hoss die beiden geradezu rhythmisch auslacht, um sofort wieder Haltung zu zeigen: Es ist ein Spiel, das abrupt und geschmeidig zugleich ist und der Unheimlichkeit der Figur gut entspricht. Aber vielleicht fehlt uns Europäern etwas, um das Stück ganz zu verstehen. Wie sehr das Ritual der öffentlichen Abbitte selbst die politische Kultur der USA bestimmt, kann man gerade sehen. Die Lust an der Reue, die Jon spürt, bleibt bei Bernd Moss auch deshalb unverständlich. Selbst Nina Hoss als unterkühltes Flintenweib an der Stromgitarre kann diesen Zwang zum Geständnis nicht restlos erklären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!