piwik no script img

Tanz die Messestadt

Mit schönem Gruß von ihrem Sponsor: Das Tanzfestival „euro-scene“ Leipzig hat an Ausstrahlung gewonnen und ist doch finanziell bedroht

von FRANZ ANTON CRAMER

So eine funkelnde Geschichte verzeichnet jede Chronik der Wende gern. 1991 gründete der gebürtige Dresdner Matthias Renner in Leipzig ein Theaterfestival, um dem immensen Aufholbedarf des Ostens in Sachen Bühnen-Avantgarde und zeitgenössischer Tanz nachzukommen. Seitdem holt die „euro-scene“ Leipzig immer im November in die Messemetropole, was seinen Weg in andere Regionen Deutschlands noch kaum gefunden hatte: Anne Teresa de Keersmaeker und Joseph Nadj, Jo Fabian und Maguy Marin, die Socìetas Raffaello Sanzio und Alain Platels Les Ballets C. de la B.

Dabei standen solch hochkarätige Namen neben jungen Gruppen und lokalen Produktionen. In einer Stadt, die neben Schauspielhaus, Oper und klassischem Ballett wenig alternative Kultur bietet, hatte es die neue Festivalidee – Verbindungen zwischen West und Ost, Tradition und Erneuerung, jungem und gesetztem Publikum zu schaffen – nie leicht. Zumal ihr Initiator bereits zwei Jahre nach der Gründung starb. Seitdem ist Ann-Elisabeth Wolff die rastlose Festivalchefin. Unter ihrer Ägide mauserte sich das Ereignis immer weiter. In diesem Jahr bespielt es erstmals auch das pompöse Opernhaus am Augustusplatz.

Allerdings sind die Vorwürfe aus der kleinen Leipziger Off-Szene nie ganz verstummt, die „euro-scene“ arbeite an Leipziger Bedürfnissen vorbei. Doch antwortete Frau Wolff auf solche Bedenken mit einem Konzept zur Integration lokaler Kräfte. Vor zwei Jahren etwa produzierte die „euro-scene“ das szenische Projekt „Speicherung“ nach Texten von Ernst Bloch zwischen den riesigen Regal-Landschaften des Zentralantiquariats im Stadtteil Plagwitz. Dieses Jahr gibt es eine „Tagwerkstatt Tanz“ für ChoreografInnen aus Leipzig. Mittlerweile ist aber aus der Aufbruchsstimmung Katzenjammer geworden. Denn die „euro-scene“ ist in ihrem Fortbestand gefährdet. Als im Frühjahr der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf stolpernd zurückgetreten war und eine neue Landesregierung den Eid ablegte, kam mit Matthias Rößler ein Chef ins Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Sachsens und Ostdeutschlands einziges derartiges Festival noch nie besucht hatte. Zu seinen ersten Amtshandlungen zählte im Juni die Streichung aller zugesagten Subventionen. Eine Katastrophe, schließlich waren zu diesem Zeitpunkt die meisten Verträge bereits unterzeichnet. Außerdem hängen zahlreiche Drittmittel von der föderalen Grundförderung ab.

Erst als Frau Wolff mit der Absage des Festivals drohte, lenkte der Minister ein und zahlte – 50.000 Euro. Bei einem Gesamtbudget von 450.000 Euro (sicherlich deutschlandweit der geringste Etat für ein internationales Theatertreffen) ein ziemlicher Batzen. Neben den 120.000 Euro von der Stadt gewährten andere staatliche Stiftungen noch einmal 80.000 Euro.

Für den Rest ist die „euro-scene“ auf Sponsoren angewiesen. Bei der jetzigen 12. Ausgabe war das u. a. die BMW Group München. Sie half bei der Finanzierung des kostspieligen Auftritts von Frédéric Flamands futuristischem Architektur-Ballett „Metapolis“. Die Bühnenlandschaft dazu stammt von der irakischen Bau-Visionärin Zaha Hadid, die wiederum erst kürzlich den Auftrag erhielt, für BMW ein neues Werksgebäude in Leipzig zu planen. So verbanden sich fürs „Metapolis“-Gastspiel Kunst- und Ökonomie-Interessen aufs Schönste.

Michael Freundt jedoch, Mitglied der Leitung der „euro-scene“, sprach bei der Eröffnung vor den versammelten Honoratioren aus, was in diesem Jahr der Sparwut viele denken: Die Rolle von Kultur „zwischen Verachtung und Gnade“ sei auf Dauer nicht hinzunehmen. Dass Kultur schon längst zum Spielball der Interessen geworden ist – seien es Sponsoren, Finanzpolitiker oder Medienleute – weiß man. Dass sie aber eigentlich stattfindet, um „Neugier zu wecken“ und „Leidenschaft zu entfachen“, droht im neoliberalen Kapital-Hickhack unterzugehen.

„Neugier und Leidenschaft“ – so hatte die Broschüre zum zehnjährigen Bestehen des Festivals im Jahr 2000 geheißen. In diesem Jahr lautet das Motto nüchtern: „Wurzeln und Visionen“. Erstere sind bekannt. Aber die Visionen? Sie beschränken sich bald aufs schiere Überleben. Auch das kann lohnend sein. Zaha Hadid, gefragt, wie sie die jahrelange Existenz als Architektin ohne Aufträge bis zum jetzigen Durchbruch überstanden habe, erzählte von Hartnäckigkeit und Humor, die ihr geholfen hätten. Und fügte schmunzelnd hinzu: „Übrigens hat es auch Spaß gemacht!“ Das galt/gilt für die bisherigen zwölf Ausgaben der Leipziger „euro-scene“ ebenfalls. Mal sehen, ob es noch eine dreizehnte geben wird. Die Festivalleitung hat jedenfalls eine Frist gesetzt. Bis Ende des Jahres muss Klarheit herrschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen