: Tanz der Endzeit mit Lava im Strumpf
■ Das Programm der letzten zehn Tage des Sommertheaters auf Kampnagel
Das Fächerrauschen, das das bisherige Festival begleitet hat, dürfte in der letzten Woche eher zur Ausnahme gehören. Denn wer bei erfrischenden 20 Graden noch soviel schwitzt, daß es sich lohnt, den Eigendunst dem Nachbarn ins Gesicht zu wedeln, der ist wahrlich eine bemitleidenswerte Einzelerscheinung. Folglich können sich jetzt alle ganz auf die Kunst konzentrieren.
Das wird auch nötig sein. Nicht nur bei der im Vorfeld meistdiskutierten Choreographie von Bill T. Jones (siehe oben) bedarf es der konzentrierten Einlassung. Auch die weiteren Stücke der letzten 10 Tage besitzen soviel Eigenarten, daß der gefällige Konsum von Kulturgut hier nicht greifen wird.
Schon Saburo Teshigawara, dessen 91er-Performance beim Sommertheater für viele zu einer der schönsten Erinnerungen der Festivalgeschichte gehört, verlangt vom Zuschauer Kontemplation. Gemeinsam mit der Tänzerin Sayoko Yamaguchi inszeniert er ab Freitag ein bedrückendes Endzeitszenario. Der gelernte Bildhauer Teshigawara verfolgt in Here to Here seinen Begriff vom skulpturalen Tanz in einem würfelfömigen Raum, dessen Decke sich senkt, bis der Tänzer begraben ist (Fr.-So., 20 Uhr, k2).
Am selben Abend zeigt auch die spanische Sängerin Fatima Miranda ihr Programm Las Voces de la Voces, das mit dem unsterblichen und alle Festivaljahre von neuem inszenierten Projekt der vier Elemente Erde, Luft, Wasser, Feuer arbeitet. Auch die Metamorphosen einer Frau sind nicht der brillanteste Einfall für eine Theaterperformance, aber die Präsenz und das obertonreiche, wortlose Singen des spanischen „Stimmwunders“ sollten für diese dürftige Ausgangslage reich entschädigen (Sa./So., 21.30 Uhr, k1).
Die chinesische Theatergruppe Xi Ju Che Jian wird sicherlich mit der Erwartungshaltung eines westeuropäischen Publikums zu kämpfen haben. Aber der Ansatz des ersten Experimental-Theaters in Peking, sich in avantgardistischen Bildern und Gedichten mit dem übermächtigen Einfluß der volkschinesischen Bürokratie auf das Privatleben auseinanderzusetzen, darf in seiner Umsetzung mit Spannung erwartet werden. Der Titel File 0 bezieht sich auf das Dossier, das über jeden bei den Behörden geführt wird und dessen Verlust einer symbolischen Auslöschung der Person gleichkommt (Di., 20.30 Uhr, Mi.-Sa., 21.30 Uhr, k1).
Die New Yorker David Dorfman Dance Company verbindet schließlich heiteren Ernst und sportive Figuren zu einem originären Stil erzählender Choreographie (Mi.-Sa., 20 Uhr). Und das britische Duo Philipo Jeck und Lol Sargent bereiten mit einer Installation aus 180 Plattenspielern der sterbenden Schallplatte eine Hommage (nächsten Fr./Sa., 21 Uhr, k6).
Im Rahmenprogramm findet sich noch viel mehr Musik: Die britische Sängerin Rachel Morrison (Fr./Sa., 23 Uhr, Foyer 2), die kubanischen Herren mit der Lava im Strumpf, Vieja Trova Santiaguera (Sa., 23.30 Uhr, Foyer 6), und das Sonnenaufgangskonzert mit Libero Movimento (So., 4 Uhr morgens, Foyer 1) machen das Heimgehen an diesem Wochenende schwer. Die deutsche Salsa-Band Son Bakan schließlich fesselt die fernwehgepeitschten Hüftkreisler am kommenden Freitag. Und dann ist Schluß und die Berliner Gruppe Madonna HipHop Massaker leiten mit ihrem All-Style-Crossover-Rock das große Abschlußfest ein (nächsten Sa., ab 23 Uhr). Und dann bis zum nächsten Jahr.
tlb
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