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Tanz-Legende Anna HalprinVerbunden in der Performance

Die 90-jährige Anna Halprin ist eine Pionierin des modernen Tanzes. Der Portraitfilm "Breath Made Visible", der nun in die Kinos kommt zeigt nicht nur historische Performances der Legende.

Erneuerin des modernen Balletts: Tanz-Legende Anna Halprin im Film "Breath Made Visible". Bild: dpa

BERLIN taz | Mit über 80 Jahren kehrte Anna Halprin auf die Bühne zurück. Seit 1968 sei sie hier nicht mehr aufgetreten, sagte sie dem Publikum 2002 im New Yorker Joyce Theater, die Haare zu einem punkigen Wuschel hochgebunden und mit Armen und Schultern kokettierend wie ein kleines Mädchen. Denn gleich versetzt sie sich in ihre Kindheit, performt die Fünfjährige, die nicht stillsitzen kann. So beginnt sie ein autobiografisches Solo. Ausschnitte daraus stehen am Beginn eines Films, der in ihrem neunzigsten Jahr in die Kinos kommt: "Breath Made Visible".

"Breath Made Visible" ist ein Film mit einem Anliegen: Es geht ihm darum, Anna Halprin, die amerikanische Pionierin des modernen Tanzes und der Tanztherapie, über die Welt der Tanzbegeisterten und Therapieinteressierten hinaus bekannt zu machen. Regisseur Ruedi Gerber gehört selbst zu jenen Künstlern, die Halprin bewundern, weil sie von ihr gelernt haben. Tatsächlich versteht man bald, warum er so leidenschaftlich gern von ihr erzählen möchte und die Kostbarkeit, mit ihr zu reden und sie tanzen zu sehen, mit so viel Menschen wie möglich teilen möchte. Die Rebellin, die sie war, ist noch immer präsent, aber auch die Fähigkeit, aus jedem Moment einen besonderen zu machen.

Anna Halprin ist ein artists artist, eine Legende aus der Crew, als Amerika die Künste neu erfand. Sie hat mit John Cage, Merce Cunningham und der Judson Church zusammengearbeitet. Selbst wenn man ihren Namen nicht kennt, ist man womöglich doch schon mit Kunstformen in Berührung gekommen, die sie vor dreißig, vierzig Jahren aus der Taufe hob. Schon wegen der schwarzweißen Filmausschnitte, die ihre Performances aus den 60er Jahren zeigen, lohnt sich der Film.

Wie ihre Dancers Workshop Company Brachen in der Stadt bespielt und Signale durch die amerikanische Industrielandschaft sendet; wie sie spinnengleich durch ein riesiges Netz aus Tauen klettern; wie sie sich, 1965, auf der Bühne ausziehen und Nacktheit jenseits von Sexualisierung zu thematisieren versuchen und sich dann mit wunderbar raschelnden Papierbahnen in etwas völlig Fremdes verwandeln; wie sie 1971 in Los Angeles auf der Straße gegen den Vietnamkrieg und für "justice and peace" performen.

Aber Anna Halprin hat in ihrem 90-jährigen Leben auch so viel gemacht, dass in den 80 Minuten Film vieles zu schnell geht. Da gab es die Zeit, 1968 in Los Angeles, als sie mit einem Workshop mit weißen und schwarzen Tänzern eines der ersten Projekte initiierte, das sich mit der durch die Rassendiskriminierung geschaffenen Identität im Körper auseinandersetzte. Die gezeigten Ausschnitte sind einfach toll, und man würde diesen Männern und Frauen, die aus alltäglichen Bewegungen eine Vielfalt von differenzierten Situationen entwickeln, gern länger zuschauen.

Dass gemeinsam zu performen ein Mittel sei kann, um soziale Verbindungen herzustellen, bleibt ein Motiv ihrer Arbeit; ebenso aber die Verbindung zu den Elementen. "Being connected", verbunden zu sein, mit dem Himmel, den Bäumen, dem Meer, dem eigenen Atem, den Mittänzern, das taucht in ihrer Rede immer wieder auf, und das feiern die Filmbilder dann doch etwas zu ekstatisch.

Zuerst hatte Ruedi Gerber gar nicht vor, einen biografischen Film über Anna Halprin zu machen, aber dann ließ ihm, so beschreibt er es in einem Produktionsbericht, die enge Verwobenheit von ihrer Kunst und ihrem Leben doch keine andere Wahl. Schade ist nur, dass er den Originaldokumenten nicht einen größeren Raum gegeben hat, sondern die Ausschnitte kurz hält. Dagegen gibt es viele Bilder von Anna Halprin heute an der Westküste, wie sie mit Wind und Wellen tanzt, von Workshops auf ihrem großen Tanzboden unter freiem Himmel, Gespräche mit ihren Töchtern und mit ihrem Mann: Und da ahnt man, dass sie selbst eben auch die Finger bei der Gestaltung im Spiel hatte, ihre wichtigsten Botschaften weitergeben wollte, ihre wichtigsten Menschen einbeziehen wollte. Nicht nur der Regisseur hat ein Anliegen, sie eben auch.

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