Analyse: Taliban ante portas!
■ In Afghanistan will Rußland den Einflußgewinn Pakistans begrenzen
Pakistans Pro-Taliban-Allianz, die von diversen Islamistenparteien über den Militärgeheimdienst ISI bis zu Ex- Militärs in Benazir Bhuttos Oppositionspartei PPP reicht, kann zufrieden sein: Wieder einmal hat sie ihren regionalen Gegenspielern Iran und Rußland, die im afghanischen Einflußpoker die Taliban-Gegner Masud, Rabbani und Dostum militärisch unterstützen, ein Schnippchen geschlagen. Das gilt auch, wenn um die Schlüsselstädte Nordafghanistans – Mazar-e Scharif und Taloqan – noch gekämpft wird. Einmal von den Taliban hinausgedrängt, werden es deren Gegner schwer haben, sich dort wieder zu etablieren.
Am Fluß Amu-Darja, der Afghanistan von der GUS-Südgrenze trennt, herrscht jetzt Hektik. Schon ist in Usbekistan Gewehrfeuer vom gegenüberliegenden Ufer zu hören. Seit dem Wochenende gilt auch bei der Armee Tadschikistans, den dort stationierten russischen Grenztruppen und der zumeist russischen GUS-Friedenstruppe die höchste Alarmstufe. Auch der Chef der iranischen Revolutionsgarden traf Maßnahmen zur Sicherung der iranischen Ostgrenze zu Afghanistan. Dabei besteht kaum Anlaß zu der Annahme, die siegreichen Taliban könnten einen Durchmarsch nach Teheran, Taschkent oder gleich bis Moskau starten. Sie haben keine Expansionsgelüste. Vielmehr ist die von ihnen ausgehende Gefahr eher immateriell als militärisch. Ihr Erfolg könnte die (schwache und hart unterdrückte) islamische Opposition gegen die autoritären, noch ungefestigten Machthaber in Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan moralisch aufrüsten, befürchten diese.
Das ist Rußland nicht einmal unwillkommen. Das islamische Damoklesschwert über den Häuptern mittelasiatischer Staatschefs ermöglicht der Ex-Supermacht, sich in den abtrünnigen Ex-Sowjetrepubliken wieder als militärisch unverzichtbar zu zeigen. Usbekistan, das sich in den vergangenen Jahren von Moskau distanzierte, dankte diesen Schutz schon mit einer Wiederannäherung. Tadschikistans Präsident, seit kurzem mit Islamisten in der Regierung, ist trotz des beendeten Bürgerkriegs weiter militärisch von Rußland abhängig.
Rußland und Iran wollen sich mittels Afghanistan nicht von US-Konzernen aus dem Transitgeschäft mit dem Erdöl und Erdgas Mittelasiens ausbooten lassen. Sie werden deshalb den Taliban-Gegnern weiter Munition liefern, um die Trans-Afghanistan-Pipeline zu verhindern, die die Taliban bauen wollen. Nicht umsonst lehnte Moskau Anfang August den UN-Plan eines Waffenembargos gegen Afghanistan als zwar „attraktive Idee“, aber „praktisch undurchführbar“ ab. Ungesagt blieb, warum: Das würde Pakistan mit seiner unkontrollierbaren Gebirgsgrenze zu Afghanistan im Einflußpoker weiter stärken. Thomas Ruttig
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