: Talfahrt nach dem Gipfel
Noch ein weiter Weg zur koordinierten EG-Wirtschaftspolitik ■ K O M M E N T A R
Wenn alle zufrieden sind, stimmt etwas nicht. Die seltsame Situation, daß in Großbritannien Freunde wie Gegner der Währungsunion mit den Ergebnissen des EG-Gipfels von Madrid zufrieden sind, gibt eine Vorstellung davon, wie verschrammt die Eiserne Lady nach London zurückgekehrt ist. Anlaß zum Jubel besteht jedoch auch deswegen nicht. Zum einen: Wie relativ Margaret Thatchers Kompromißbereitschaft ist, zeigte sich an ihrer kalten Ablehnung der EG-Sozialcharta.
Zum zweiten aber geht es nach den Vorstellungen von EG -Kommissionspräsident Jacques Delors schließlich um eine einheitliche EG-europäische Wirtschaftspolitik, in der nicht mehr die nationalen Parlamente, nur in Maßen die Regierungen, jedoch vor allem die EG-Institutionen und die Lobbys das Sagen haben werden. Die Öffentlichkeit, in der schon jetzt die Brüsseler Politik kaum mehr diskutiert wird, kann schon gar nicht ein solches hochkomplexes Politmonster kontrollieren. Wenig Unterstützung ist auch vom Straßburger Parlament zu erwarten, das selbst bei gutwilliger Auslegung seinen Namen kaum verdient.
Allerdings: Da das neue Europaparlament sich noch nicht konstituiert hat, hat Maggie Thatcher indirekt sein Geschäft betrieben. Je langsamer die währungspolitische Integration vonstatten geht, um so eher besteht noch eine Chance für die Abgeordneten, in das Führerhaus zu gelangen, von dem aus der EG-Zug gesteuert wird - bevor vollendete Tatsachen geschaffen sind.
Kommissionspräsident Delors, der die wirtschaftspolitische Einigung am stärksten vorantreiben will, hat sich indes in Madrid nicht umsonst bis zur Weißglut über Thatcher geärgert. Nicht nur, daß die Sozialcharta als wichtiges Element der EG-Akzeptanz einstweilen aufgeschoben ist; auch der konkrete Fahrplan für die Währungsunion, der seinen Namen trägt, ist zunächst zerredet. In der Sache wird die Anpassung des Plans an die Madrider Beschlüsse zwar eher eine Frage der künftig zu verwendenden Terminologie, aber politisch hat Delors eine Niederlage hinnehmen müssen. Schließlich haben ihm die Verhandlungen um den Kompromiß noch einmal deutlich vor Augen geführt, daß nicht alle Wege durch sein Amtszimmer führen. Hinzu kommt noch, daß mit der augenblicklichen Schwäche Thatchers auch andere nationale Regierungen Flagge zeigen müssen, wenn sie sich nicht mehr hinter der großen Neinsagerin verstecken können.
So ist die EG mit den Gipfelbeschlüssen von Madrid zwar ein Stück vorangekommen; das Tempo hat sich allerdings verlangsamt.
Dietmar Bartz
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