Tagung an der UdK Berlin: Zur Genealogie des Techno
Wer bestimmt, wann Techno anfängt? Eine akademische Tagung widmete sich der Konstruktion seiner Geschichte.
Techno als Gegenstand akademischer Betrachtung, das holt keinen Raver mehr runter vom Dancefloor, könnte man meinen. Schließlich wurde dem Phänomen elektronische Tanzmusik bereits in unzähligen Studien aus allen universitären Ecken zwischen Musik- und Kulturwissenschaften zu Leibe gerückt.
Doch erstaunlicherweise hat die Ringvorlesung „Techno Studies“, die seit November von der Universität der Künste in Berlin veranstaltet wird, mit dem erklärten Ziel, „Ästhetik und Geschichtsschreibung elektronischer Tanzmusik“ etwas näher zu rücken, für leichtes Aufsehen gesorgt.
Pünktlich zum Höhepunkt der Ringvorlesung, einer zweitägigen „internationalen Tagung“ am Wochenende, hat die Welt den Quartalsraver Airen, der einst 15 Minuten lang berühmt war, weil die Schriftstellerin Helene Hegemann bei ihm abgeschrieben hatte, dazu gebracht, sich in klaren Worten gegen die akademische Theoretisierung eines Spirits auszusprechen, „der sich nicht analysieren lässt“ und seiner Meinung nach nur direkt auf dem Dancefloor erfahrbar ist.
Wahrscheinlich ohne es zu wollen, gab Airen den Machern der Tagung damit eine zusätzliche Legitimation. Lag ihr Augenmerk doch vor allem in der Betrachtung einer Konstruktion von Technogeschichtsschreibung und der Frage, wie und von wem Techno als Kultur und Phänomen ständig neu verhandelt wird. „Was wird heute gesagt, was damals Techno gewesen sein soll?“, sei eine ihrer Hauptfragen gewesen, sagt Kim Feser, der die Tagung mitorganisiert hat. Die Position von Airen – über Techno lässt sich nicht reden – ist absolut typisch für in die Jahre gekommene ehemalige Raver.
Was nun nicht heißt, dass Airens Forderung, den Rausch der Nacht über den Diskurs zu stellen, bei der Tagung völlig ausgeblendet werden konnte. Auch Kim Feser beeilte sich, im Deutschlandradio preiszugeben, dass er schon so manche Nacht durchgetanzt und sich selbst am Auflegen versucht habe. Und als sich während einer der Diskussionen ein Männchen mit Bauch als Geschichtswissenschaftler vorstellte, der damals aber auch dabei gewesen sein wollte, als Techno in den Neunzigern explodierte, wurde klar, dass die Selbsterfahrung im Club, ob nun bloß vorgegeben oder nicht, immer noch als entscheidend dafür angesehen wird, wie glaubwürdig eine akademische Betrachtungsweise von Techno ist.
Freilich kann man es auch ganz anders machen, was der Vortrag der Medienwissenschaftlerin Judith Keilbach bewies, die womöglich DJ Bobo nicht von Robert Hood unterscheiden kann, aber mit ihrem medienwissenschaftlichen Instrumentarium eine Kritik von außen an die Art und Weise der derzeit um sich greifenden Historisierung von Techno formulierte, für die selbst erklärte Technokenner wahrscheinlich zu betriebsblind wären. Keilbach wurde vorab vom „Techno Studies“-Komitee mit Materialien versorgt, etwa mit einigen der in letzter Zeit erschienenen Filme über Techno und dem Gesprächsband „Der Klang der Familie“ über Techno in Berlin.
Keilbachs Fazit aus dem Gesichteten: In den Filmen werde auf Guido-Knopp-Niveau Historisierung betrieben und auch dem Buch merke man deutlich an, dass nicht die Geschichte über Techno schlechthin, sondern eben eine Version dieser Geschichte konstruiert werde. Zudem habe sie den Eindruck bekommen, Techno sei so gut wie ausschließlich eine Sache von „heterosexuellen, weißen Jungs“.
Nicht alle Vorträge waren so substanziell wie der von Keilbach. Zu oft merkte man dann doch, dass man sich in der Uni befand – es ging zum x-ten Mal hier wie dort um Bourdieu, Körperpolitik und Subversion. Man hatte nicht selten das Gefühl, mit Techno groß gewordene Wissenschaftler verklärten ihren Gegenstand. Schließlich ist Techno heute eine gigantische globale Unterhaltungsindustrie mit unglaublich gut verdienenden DJ-Popstars, die mit Underground gar nichts mehr zu tun haben. Was nicht heißen soll, dass im Berghain, das zufälligerweise an diesem Wochenende sein zehntes Jubiläum feierte, nicht trotzdem anständig gefeiert wurde und nebenbei „Identitäten neu verhandelt wurden“, wie der Akademiker sagen würde.
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