: Tagesschau „nicht für jede Minderheit“
■ Gehörlose wollen Gebärden-Dolmetscher im Fernsehen
Mehr und bessere Nachrichten verlangt der Hamburger Landesverband der Gehörlosen und fordert die Einblendung von Gebärdendolmetschern in die ARD-“Tagesschau“. „Die hörende Welt hat immer ihre Informationen. Aber wir haben da ein großes Defizit“, sagt der Geschäftsführer des Landesverbands, Eckhard Bull.
Herkömmliche Untertitel reichten nicht aus. Denn die Deutsche Gebärdensprache (DGS), mit der sich Gehörlose sehr schnell verständigen können, entspricht nicht der Schriftsprache und hat zudem eine eigene Grammatik. Ohne diese Sprache, um deren Einführung im Unterricht es im vergangenen Jahr großen Streit gab, verlassen Gehörlose die Schule „auf dem geistigen Nivau von Achtjährigen“, wie es Bull umschreibt. Wenn also Gehörlose, von denen geschätzte 80.000 bis 200.000 in der Bundesrepublik leben, die Nachrichten gut verstehen sollen, brauchten sie die Übersetzung.
Das Thema Gebärdendolmetscher im Fernsehen - die es übrigens in Frankreich, Schweden und den USA längst gibt - war Ende vorigen Jahres schon einmal hochgekocht, nachdem der NDR die Übersetzung der Schmidt-Show kurz vor der Sendung unterbunden hatte. Seither, so Bull, habe es nur ein Gespräch mit NDR-Programmkoordinator Wulf Thomas gegeben, der das Ansinnen mit dem Hinweis auf Einschaltquoten abgelehnt hatte. Gebärden könnten zudem bei Zuschauern zu „Irritationen und Fehlreaktionen führen.“
Inzwischen verweigert der NDR nach Auskunft der Gehörlosen den Dialog. Für ihr Anliegen sei stets die Medizinredakteurin zuständig, was Eckhard Bull als diskriminierend empfindet: „Wir sind nicht krank.“ Um dennoch etwas zu bewegen, hat der Verband für Sonnabend, den 24. September, eine Podiumsdiskussion anberaumt, an der neben wahlkämpfenden Parteienvertretern nun auch besagte NDR-Medizinredaktion teilnehmen wird (um 10.30 Uhr im Kultur- und Freizeitheim der Gehörlosen, Bernadottestraße 126, Altona).
NDR-Sprecher Peter Müller sieht seinen Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Schmidt-Show-Übersetzung zu Unrecht „von den Printmedien abgestraft“. Für den Auftritt der Gebärdendolmetscherin habe es kein „Verbot“ gegeben, er sei „nur eben nicht realisiert worden“. Die ARD, so Müller, tue mit den Untertitelungen von mehreren tausend Programmbeiträgen jährlich und der wöchentlichen Sendung „Sehen statt Hören“ viel. Darüber hinaus könne ein Massenmedium nicht „jede Minderheit gleichmäßig bedienen“.
Nachforschungen des Senders hätten zudem ergeben, daß es mit der Einführung der DGS nicht getan sei, weil die Gehörlosen regional unterschiedliche Dialekte sprächen. Dies allerdings war unter den Hörenden vor Einführung des Fernsehens auch stärker als heute der Fall und wurde damals nicht als Hindernis bei der Einführung des Heimkinos gesehen. Kaija Kutter
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