Tag der offenen Tür (2): Merkel lässt Fans warten
Die Kanzlerin gibt sich beim Tag der offenen Tür bürgernah. Das Publikum dankt es mit Gedrängel und Fotosalven.
Als die Bundeskanzlerin kommt, hört der Spaß auf. Aus dem Hof des Kanzleramtes ist noch der Applaus zu hören, da wittern die Besucher im ersten Stock, dass sich die Kanzlerin auf den Weg macht. Auf den Weg zur zweiten Station ihres öffentlichkeitswirksamen Rundgangs durch das Kanzleramt, dahin, wo nun Unruhe in die wartende Menge kommt. Ellenbogen werden ausgefahren, Handykameras an Kinder weitergereicht, mit dem Auftrag, sich bis "ganz nach vorne" zu drängeln. Wer kein Kind mitgebracht hat, versucht es mit dem willkürlichen Knipsen irgendwo in die Richtung, in der die Bundeskanzlerin vermutet wird. Doch die lässt sich Zeit.
Wer am Sonntag ins Bundeskanzleramt gekommen ist, will die Kanzlerin sehen. Dass die derzeit Angela Merkel heißt, zu einer Partei gehört, die sich CDU nennt und in einem Monat Bundestagswahl ist, ist vielen egal. Der Kanzlerbonus hat zugeschlagen. "Es geht darum, die Kanzlerin einmal live zu sehen", erklärt Besucherin Tanja. Mit einer Digitalkamera bewaffnet wartet sie am Rand des Halbkreises, in den die Kanzlerin gleich kommen soll. Nein, auf ihre Wahlentscheidung wird das keine Auswirkung haben. "Es ist mehr Freizeit hier."
Doch Tanja und die anderen Besucher müssen warten. Minuten um Minuten wächst der Halbkreis von Personen, der auf die Bilder der vergangenen Bundeskanzler schaut, vor denen die Kanzlerin gleich auftreten soll. Beginnt vorne ein Fotograf zu knipsen, drängeln sie hinten noch mehr.
Für die Kanzlerin muss es eine Veranstaltung wie aus dem Lehrbuch sein. Die Sonne scheint, die Massen kommen und auf der Bühne fragt die Moderatorin artig nach dem Tagesablauf einer Bundeskanzlerin und ob es denn stimme, dass sie so gerne das Handy benutzt. Merkel antwortet dass sie um acht Uhr anfängt zu arbeiten und dass sie sich mit dem Handy auch über die aktuelle Nachrichtenlage informiert. Das Publikum applaudiert an den richtigen Stellen, lacht an richtigen wie falschen Stellen und auch das Catering im Kanzlergarten hat gut zu tun. Die Bundeswehr darf sich in unverfänglichem Ambiente präsentieren und die Besucher nehmen nicht nur Wissen über Hubschrauber mit, sondern auch Stoffbeutel vollgestopft mit Werbematerial.
Auch in den ersten Stock ist die Kanzlerin noch gekommen. Hat in die Menge gewinkt, Hände geschüttelt und einem heulenden Kind über den Kopf gestrichen. Viele haben ein Foto bekommen und manche sogar ein Autogramm. Der Schriftzug ist praktisch nicht zu entziffern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin