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Taffe Tanzmäuse

■ Premiere: Bremens Tanztheater tanzt „Echo“ und meint damit dich und mich und ähnliche bzw. andere Paare

Wenn die Welt aus Käse wäre und drei Wände hätte, was wären dann die Menschen? Löcher, Mäuse, Idioten? Falsch, die Menschen sind dann Tänzer und haben viel zu tun, um uns trotzdem zu beweisen, daß sie Menschen, im Grunde aber Mäuse und Idioten sind. Sie rennen deswegen vor käsegelbe Wände und tragen dazu mausgrau, was nicht allen steht, aber so ist die Welt: ein Hausmeisterleben als Ehepaar, und wenn nicht als Ehepaar, dann jünger und als Aschenputtel mit postmodernem Prinz, der seinen Pferdeschwanz heutzutage lieber selbst trägt statt an seinem Pferd. Mit so einem ist kein Staat mehr zu machen und schon gar keine Ehe; und darum arbeiten sich ja auch moderne Menschen resp. die Geschlechter so unelegant aneinander ab.

Auf dem Tanztheater rempeln sie sich deswegen die Seele aus dem Leib oder gehen eben die drei Theaterwände hoch und schlagen autistische Purzelbäume. Das jedenfalls solange, bis auch die Abonnenten-Paare in Kostüm und Schlips erkennen, daß sie gemeint sind und ein Stück abrücken. Dabei sind sie viel farbenfroher als die Wirklichkeit, die sich ihnen derart verdichtet da vorne präsentiert und „Echo - die Freundlichkeit des Hundes“ heißt. Das Hündische ist nämlich dem Menschen verwandt und deshalb vermutlich sein Echo, jedenfalls, wenns ums Winseln nach Zuwendung, wahlweise Bellen geht; und wer kennt das nicht von sich, daß er schon mal Mama etc. gerufen hat und da kam keiner.

Selbstverständlich ist es gemein, die Dinge so zu verkürzen, die uns da am Samstagabend vom Bremer Choreographen Urs Dietrich angeboten wurden. Schließlich gab es sehenswert dynamische Formationen, ja sogar ironisches Figurenwerfen. Aber wenn man denn so alleingelassen wird mit dem eventuellen Gemeintsein von allem, dann gerät man gerne in die Mühlen der beliebigen Assoziation und fühlt sich nachgerade dort hingeschickt. Natürlich könnte man sich gefälligst um ein bißchen mehr Geschwalle bemühen und bei Botho Strauß nachschlagen, der auch im Programmheft vorkommt und schon vor gut 20 Jahren seine Paare passieren ließ. Aber im Prinzip hat er damals schon alles gesagt, also daß der Mensch ein Einsamer (einsamer Tischsitzer, kaum je zu zweit, und wehe, wenn) sei, was eigentlich auch schon Camus (alles sinnlos, alles Fliege) und überhaupt die philosophischen Franzosen ein bißchen ausgepichter, also unverständlicher, gesagt haben. Na gut, das kann man ja trotzdem immer mal wieder aufgreifen, speziell, wenns immer noch stimmt.

Denn ist etwa etwas sinnvoller geworden in der Zwischenzeit? Eben, und da ist das Tanztheater durchaus geeignet, chaotisches Einzelsein zu zeigen. Wo kann man sonst noch so hübsch straucheln, zappeln, hüpfen, fallen, kämpfen, krabbeln, ringen, rangeln und extra überraschend, in ungefähr der Reihenfolge, Walzer tanzen?!

Es geht nun mal kein Weg dran vorbei, daß einfach kein Davonkommen ist allenthalben oder irgendwo; außer vielleicht am Schluß, wo nach all der vielschichtigen Nichtentfliehbarkeit ein feuerrot verkleidetes Paar, sie vermutlich schwanger, den Versöhnungs-Pas de deux andeutet. Was soll uns nun das, fragt man sich, war nicht eine Stunde lang geschlagenes Nichtstattfinden? Waren Menschen nicht eigentlich wie flatterhafte Insekten? Zur Not noch Kellner ohne Gäste (wohin verflixt mit dem Tuch auf dem Arm?), Marionetten mit Mantel, Mama rufende Männer, oral Verhaftete, Reporterhorden (die Schlimmsten von allen, die anderen können wenigstens noch nichts dafür)? Ja, das waren sie, aber sie waren es eben nur aus Beliebigkeit, aus Lust am Erkennen vom gestanzten Ritual – das aber noch nicht entlarvt ist, bloß weil es auf einmal getanzt wird, also zerlegt in Bewegung. Zwar erhält es dadurch eine Dynamik, eine Drehung und Wendung und eine sichtbare Sinnlosigkeit, aber so what?

Vermutlich sollen wir wieder lernen. Vermutlich, daß der Mensch vor allem als Doppelpack untauglich ist bis zur Erschöpfung. Da wenigstens kehrt ein bißchen Ruhe ein, so daß man sich schnell überlegen kann, warum um alles in der Welt Menschen sich zusammentun. Um für sich allein miteinander zu sein, raunt das Programmheft. Wir rätseln weiter, ob es nicht doch noch mehr Gründe gibt, vielleicht auch tanzbar. Vielleicht nächstes Mal. Das Thema ist ja stabil. Schwellender Applaus. Claudia Kohlhase

Nächste Aufführungen: 26. und 31. Mai, 2., 5. und 10. Juni, Schauspielhaus Bremen, jeweils 20 Uhr

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