TXL schließt endgültig: Das magische Sechseck

Als er gebaut wurde, war Tegel einer der modernsten Flughäfen Europas. Zuletzt war er allerdings ein Oldtimer, der unter der Last der Passagiere litt.

Der alte Flughafen Tegel von oben fotografiert: man kann gut die sechseckige Bauweise erkennen

War bei Eröffnung 1974 „state of the art“: der Flughafen Tegel im Jahr 2010 Foto: Günter Schneider/AKG

BERLIN taz | Vielleicht ist das ja der Grund, warum einige jetzt etwas sentimental werden. Der Flughafen Tegel mit dem nostalgischen Namen Otto Lilienthal, von dem am Sonntag um 15 Uhr der letzte Flieger Richtung Paris abhebt, konnte Geschichten erzählen wie kein anderer. Eine sehr schöne erzählt zum Beispiel der Fotograf Peter Ortner, der im Sommer einen Bildband über Tegel herausgab: „Bei der Eröffnung 1974 war Tegel state of the art. Es gab ein drive in-Konzept, bei dem man kreuzungsfrei zum Gate vorfahren, aussteigen und direkt zum Flugzeug laufen konnte. Man konnte noch fünf Minuten vor dem Abflug aus dem Auto steigen, um den Flieger zu erreichen.“

Das iPhone unter den Flughäfen der damaligen Zeit nennt Ortner den Flughafen Tegel, und das hat viel mit seiner ikonografischen Architektur zu tun. Als sich die Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus Nickels 1965 an dem vom Westberliner Senat ausgeschriebenen Wettbewerb beteiligten, leisteten sie sich die künstlerische Freiheit, einen für die damalige Zeit idealen Flughafen zu entwerfen.

Dessen Kernstück war das Hauptterminal, das in Gestalt eines Sechsecks 14 Gates ermöglichte. Eine zentrale Gepäckaufgabe, Passkontrolle oder Personenkontrolle gab es nicht, alles fand am jeweiligen Gate statt. Im Terminal A, wie das Terminal heute heißt, war der Gedanke eines Flughafens der kurzen Wege bis zum Schluss erkennbar. Der Architekturkritiker Florian Heilmeyer spricht deshalb auch von einem „menschenfreundlichen Flughafen“.

Wenn vor Corona Gäste aus Europa oder aller Welt am Terminal A ankamen, fühlten sie sich oft zurückversetzt in eine Zeit, in der das Fliegen noch in den Kinderschuhen steckte. Und wenn sie sich dann in die überfüllten Busse der Linien TXL, X9, 128 oder 109 zwängten, wussten sie, wie das in Berlin in den sechziger und siebziger Jahren buchstabiert wurde – autogerechte Stadt.

Flughafenbaracken neben denkmalgeschütztem Kern

Flogen sie dann wieder nach Hause, stellten sie fest, dass sie hinter den Personenkontrollen keine glitzernde Shopping-Welt erwartete, sondern ein schnöder Wartebereich, in den, und das auch nicht überall, erst später einige Imbissbereiche gebaut wurden.

Die meisten der zuletzt 24 Mil­lio­nen Fluggäste 2019 flogen aber nicht vom Terminal A, sondern von den Terminals C oder D, also den provisorischen Wellblechterminals von Easyjet und anderen Billigcarriern. Streng genommen war das schon nicht mehr Tegel, sondern eine Flughafenbaracke neben dem denkmalgeschützten Kern, der schon lange nicht mehr die Mehrzahl der Passagiere abfertigen konnte. Eher war das magische Sechseck der Luxusbereich, von wo die Lufthansa zum Beispiel ihre Geschäftskunden über die Flugsteige nach München oder Frankfurt am Main transportierte.

Gemessen am Verkehrsaufkommen war Tegel im letzten Flugjahr vor Corona die Nummer vier in Deutschland, nach Frankfurt, München und Düsseldorf. Von der Zahl der Berichte und Schlagzeilen her aber war er ganz sicher die Nummer eins, denn nirgendwo gingen so oft Koffer verloren oder Flieger zu spät an den Start als in TXL. Aus der Flughafen gewordenen Vision der autogerechten Halbstadt mit Anschluss an die weite Welt war ein Monster geworden, eine Zumutung. Und je länger die Eröffnung des BER auf sich warten ließ, desto mehr Tentakel bekam das Monster.

Es zeugt deshalb von Größe, wenn Meinhard von Gerkan, der Erschaffer des magischen Sechsecks, seiner Schließung nicht nachtrauert. Aber warum sollte er auch, hat er als Architekt des BER gleich auch den TXL-Nachfolger entworfen. Vielleicht geht sogar das mit dem letzten Flug nach Paris auf seine Kappe, denn der Jungfernflug auf Tegel kam ebenfalls von der Seine.

Also machen wir es kurz und schmerzlos. R. I. P., du alter Flughafen, von dem auch ich noch viele Geschichten erzählen könnte, zum Beispiel die, wie bequem es war, das Auto an der Quedlinburger Straße zu parken und dann mit einem Kurzstreckenticket und dem X9 zum Terminal A zu huschen. Das Gnadenbrot sei dir gegönnt, oder wie es die Berliner Flughafengesellschaft schnell noch plakatiert hat: „Du warst klein und hast Großes geleistet. #DankeTXL“.

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