TBC: Behörden überfordert: Mehr als ein Verdacht
In einem Hamburger Flüchtlingsheim erkrankte ein Mitarbeiter an Tuberkulose. Asylbewerber werden erst nach langer Wartezeit untersucht.
HAMBURG taz | Ein Mitarbeiter eines Flüchtlingsheims in Hamburg-Bramfeld ist an Tuberkulose (TBC) erkrankt. Das berichtete der behandelnde Mediziner der taz. Er möchte anonym bleiben. Auf Nachfrage bestätigen Innenbehörde und der städtische Betreiber der Unterkunft „Fördern & Wohnen“ den Vorfall.
Der Mann mit fortgeschrittenem TBC kam drei Wochen lang ins Krankenhaus. Er infizierte sich offenbar einen Monat bevor er den Arzt aufsuchte in einer Hamburger Erstaufnahme. Weil die Inkubationszeit mindestens acht Wochen dauert, sind die betroffenen Flüchtlinge heute nicht mehr in der Unterkunft. Sie sollen längst – ohne medizinische Behandlung – weiter gezogen sein.
„Es werden alle Flüchtlinge medizinisch untersucht“, sagt der Büroleiter der Innenbehörde Björn Domroese. Der Senat gab im Juli schriftlich an, dass grundsätzlich alle Flüchtlinge in den ersten drei Tagen nach ihrer Ankunft in Deutschland untersucht werden sollen. Der TBC-Test gehört verpflichtend zur Eingangsuntersuchung der Flüchtlinge dazu.
Beim Test wird die Lunge der Patienten geröntgt. Wegen der großen Zahl an Flüchtlingen komme es zu „Kapazitätsproblemen“. Es fehle an genügend Personal, weswegen sich die Erstuntersuchung der Asylbewerber verzögere. Wie lange die Flüchtlinge darauf warten müssen, kann der Büroleiter nicht sagen. Auch gebe es keine schnellen Lösungen für das Problem. Das sei „bedauerlich“ für den Mitarbeiter, der wieder im Asylheim arbeitet, aber momentan – wegen der prekären Situation in den Einrichtungen eben nicht zu ändern.
Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, von der es verschiedene Arten gibt. „Offene TBC“ ist ansteckend und meldepflichtig.
„TBC-eigene“ Symptome gibt es nicht. Bei Beschwerden wie blutigem Husten, Nachtschweiß oder Fieber sollte ein Arzt aufgesucht werden. Unbehandelte TBC kann tödlich sein.
Bei engem Kontakt zu einem Betroffenen ist die Ansteckungsgefahr höher. Die Bakterien werden übers Husten übertragen.
Die Heilungschance liegt in Deutschland laut dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung bei 80 Prozent; in anderen Ländern teils nur bei 50 Prozent.
Seit Ende der 90er wird in Deutschland nicht mehr gegen die Krankheit geimpft. Grund dafür sind mögliche Komplikationen und der Rückgang von TBC-Fällen.
Die erste ärztliche Untersuchung, bei der unter anderem Blut abgenommen wird, findet nicht nur in der Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) in der Harburger Posttrasse statt. Wegen der großen Flüchtlingsströme wurde die Eingangsuntersuchung auch auf andere Standorte ausgeweitet. Tuberkulose wird nur vom Gesundheitsamt untersucht.
„Unsere Mitarbeiter in der Tuberkuloseabteilung kämpfen wacker, aber die Situation ist nicht ganz so einfach“, sagt Sorina Weiland, Pressesprecherin des Bezirksamt-Mitte. In den letzten Monaten habe es schon „sehr lange Schlangen vor dem Haus“ gegeben. Allein in diesem August kamen rund 6.700 Flüchtlinge nach Hamburg. Im selben Monat sollen 2.200 Asylbewerber ab 15 Jahren in der Bekämpfungsstelle untersucht worden sein. „Täglich landen hier über 100 Menschen. Das ist auf Dauer nicht zu bewältigen.“
Für das Bewältigen sind drei fest angestellte Mitarbeiter zuständig. Mittelfristig soll mehr Personal eingestellt werden. Jedoch fände man „qualifizierte Leute nicht von heute auf morgen“. Auch räumt Weiland ein, dass die Frage wer geröntgt wurde, „gar nicht so einfach“ zu beantworten sei. Ihre Kollegen seien „Experten“, jedoch kommen täglich Menschen nach Hamburg, werden wieder umverteilt oder reisen auf eigene Faust wieder ab. Die Angestellten seien „total am Limit“, sagt sie. „Gott sei Dank haben wir heute genügend Waffen gegen TBC.“
Übertragung fände nur statt, „wenn jemand ein angeschlagenes Immunsystem“ habe.
Forscher sehen Tuberkulose kritischer. „Ob jemand an Tuberkulose erkrankt, hängt auch von anderen Dingen ab“, sagt Stefan Niemann vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) in Braunschweig. „Die Faktoren, weshalb eine Person erkrankt und eine andere nicht, kennen wir noch nicht.“
Die Aufklärung über die Infektionskrankheit sei wichtig, damit Symptome rechtzeitig erkannt werden. Das tückische an TBC sei, dass die Symptome unspezifisch sind und auch auf andere Krankheiten zutreffen können. Wer Blut hustet und in der Nacht schwitzt, müsse sofort einen Arzt aufsuchen. Auch der Mitarbeiter im Flüchtlingsheim schob seine Beschwerden zunächst aufs Rauchen und ging zu spät zum Arzt. Eine offene Tuberkulose, wie es der Betroffene hatte, kann ohne Behandlung tödlich sein. Wer dagegen zum Arzt geht, hat sehr gute Heilungschancen.
Der Mitarbeiter des Flüchtlingsheims sei nach dem Krankenhausaufenthalt wieder wohlauf, bestätigt „Fördern & Wohnen“. Ob die erkrankten Flüchtlinge mit denen der Mitarbeiter in Kontakt kam, behandelt oder längst andernorts sind, kann aber keiner sagen.
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