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TAZ-SERIE "SO WIRD 2012" (TEIL 2)"Wir haben jeden Schreibtisch gezählt"

Vom 2. auf den 3. Juni ziehen die Flughäfen Tegel und Schönefeld zum BER. Der Umzugsprofi Larisch vom Flughafen München sorgt für den reibungslosen Ablauf.

Abflug mit dem neuen Tower am Horizont: Ein Flugzeug hebt in Schönefeld ab. Bild: dapd
Interview von Kristina Pezzei

taz: Herr Larisch, wenn ein Flughafen umzieht - ist das wie ein normaler Umzug in Groß?

Alexander Larisch: Im Prinzip schon. Bei einem Flughafen hat man aber viel mehr Menschen, die es betrifft - 17.800 Mitarbeiter an beiden Standorten sollen umziehen. Also muss man ganz anders planen.

Wann haben Sie mit den Vorbereitungen angefangen?

Im Januar 2010, also vor fast zwei Jahren. Wir haben erst einmal eine Bestandsanalyse der Standorte Tegel und Schönefeld gemacht, uns die Flughäfen genau angeschaut, Gespräche mit den mehr als 190 Flughafennutzern geführt. Darauf basierend haben wir ein Umzugskonzept erstellt.

Alexander Larisch

Der Luftverkehrsmanager und Speditionskaufmann plant im Auftrag der Flughafengesellschaft München Airport-Umzüge. Dafür zieht er selbst ständig um. Seiner Frau, die ortsunabhängig arbeitet, und ihm bereite das Freude, sagt der 37-Jährige. In Berlin leben die beiden seit Beginn der Umzugsvorbereitungen für BER vor zweieinhalb Jahren.

Bevor am 3. Juni endgültig Zapfenstreich für Tegel ist, stehen Larisch und sein Team vor einer Bewährungsprobe am neuen Standort: Ab Januar testen dort Tausende Komparsen, ob alle Abläufe funktionieren. (pez)

Wie muss man sich Ihre Vorbereitungen vorstellen? Sind Sie wochenlang durch die Büros gegangen und haben Radiergummis gezählt?

Es geht ja um mehr: 80 Gebäude stehen auf den zwei alten und dem neuen Flughafen. Bei denen haben wir uns die Zuwege und die Lage genau angeschaut. Wie sind die Gebäude beschaffen? Wie sieht die Einrichtung aus? Daneben haben wir in der Tat das komplette Inventar aufgenommen, sechs Monate lang. Wir haben jeden Schreibtisch, jedes Regal gezählt und mit einer Nummer versehen. Das Ergebnis ist eine riesige Datei, die wir mit allen Abteilungen durchgehen: Was wird versteigert, was kommt mit?

Das nennt man Ausmisten. Ist es nicht billiger, einen Kugelschreiber einfach wegzuwerfen und für BER neu zu kaufen?

Man kann ja nicht alles neu kaufen. Ein Kugelschreiber ist sicher billiger, aber wenn man sich ganze Büro- oder Werkstatteinrichtungen anschaut, die auch noch in gutem Zustand sind - das wird natürlich umgezogen.

Sie erwähnten eine Versteigerung. Da freuen sich Flug-Freaks sicher darauf. Wann findet die statt?

Wir prüfen derzeit, inwieweit wir zu einer Versteigerung einladen. Das hängt davon ab, wie viele Dinge tatsächlich zur Disposition stehen.

Wie viele Umzugskartons brauchen Sie?

Oh, das weiß ich nicht. Wir rechnen jedenfalls mit 2.800 Lastwagenfahrten. Sie fahren in einem Zeitraum von acht Wochen vor und zwei Wochen nach Inbetriebnahme hin und her. Wir reden im Übrigen nicht nur über Tegel, es geht auch um den derzeitigen Flughafen Schönefeld - zwischen ihm und BER liegen gut zwei Kilometer. Nur die Verwaltung in Schönefeld zieht nicht um.

Was kostet eigentlich der gesamte Umzug?

Das kann ich Ihnen so genau nicht sagen. Schließlich finanziert jede der 190 beteiligten Firmen und Gesellschaften ihren eigenen Umzug. Unser Job ist es, den organisatorischen Rahmen dafür zu schaffen.

Sie sind seit Jahren professioneller Flughafen-Umzieher. Was ist die besondere Herausforderung in Berlin?

Aus zwei Flughäfen wird einer - das gab es noch nie. Es sind so viele verschiedene Partner und Verwaltungen und Behörden beteiligt, die Logistik ist ein Kraftakt. Dazu kommt der zeitliche Ablauf. Wir haben am Samstag in Schönefeld und Tegel Flugbetrieb bis in die späten Abendstunden, am Sonntagfrüh soll der Betrieb regulär in BER weitergehen. Das heißt, wir haben ein sehr enges Zeitfenster, um Material und Geräte umzuziehen, die unmittelbar für den Flugbetrieb gebraucht werden.

Sie reden von der Nacht der Nächte, vom 2. auf den 3. Juni.

Im Prinzip beginnt die Nacht schon am Freitag, also am 1. Juni. Wir können Gerät immer nur so weit abtransportieren, als es der Flugbetrieb zulässt. Das heißt, dass wir in der Nacht auf Samstag etwa ab 22 Uhr erste Gerätschaften abziehen, knapp 60 Transporte. Im Laufe des Samstags fahren dann noch einmal etwa 60 Transporte - im Wochenendverkehr. Das sind weniger Siebeneinhalbtonner, sondern vielmehr große Lastwagen bis hin zu Tiefbett-Ladern, auf die schweres Gerät verladen wird. Wir haben Flugzeugschlepper, die bis zu 60 Tonnen wiegen.

Und die fahren tagsüber durch die Stadt?

Die speziell nicht. Andere schon, über die Stadtautobahn. Samstag ab 18 Uhr bis Sonntag um sechs Uhr früh ist für uns die Stoßzeit. In der Nacht wird die Stadtautobahn einseitig fünf Stunden lang gesperrt. Entlang der Strecke werden die ganze Zeit Bergungs- und Rettungsfahrzeuge positioniert, falls es zu einem Unfall kommt. Damit müssen wir rechnen.

Wenn jemand am Samstag um 21 Uhr in Tegel landet, muss der dann seinen Koffer selber aus dem Flieger holen und zum Taxistand laufen?

Nein, es gibt keine Einschränkung beim Flugbetrieb. Das ist ja die Herausforderung. Es kann aber auch sein, dass man gar nicht mehr in Tegel landet, sondern schon in BER. Da wir Nachtflüge vermeiden wollen, werden die Flugzeuge, die in Tegel oder Schönefeld übernachten würden, vorzeitig am BER ankommen. Es geht um etwa 40 Flugzeuge, 33 aus Tegel und ein paar aus Schönefeld.

Obwohl BER noch gar nicht in Betrieb ist.

Obwohl der Flughafen noch nicht offiziell in Betrieb ist.

Das sind ja Pioniere!

In der Tat. Diese Flugzeuge werden über die nördliche Start- und Landebahn abgefertigt, an BER heranrollen, und die Fluggäste werden mit Bussen nach Schönefeld-Nord gebracht oder nach Tegel oder in die Stadt. Bei Luftverkehrsenthusiasten werden diese Flüge hoch gehandelt.

Wo sind Sie in dieser Nacht?

In der Umzugsleitstelle am BER. Dort laufen die Fäden zusammen. Auch Behördenvertreter und Mitarbeiter der Berliner Flughäfen werden wohl in der Leitstelle sein, damit wir schnell reagieren können, falls etwas anders als geplant läuft.

Mit dem Transport allein ist es ja nicht getan. Wie kommen denn die Umzugsgüter zeitnah an ihren neuen Platz am BER?

Wir sperren ein Gelände auf dem BER ab, dort werden Lastkräne stehen. Die Wagen fahren drunter und werden abgeladen. Mitarbeiter der Bodenabfertigung verteilen die Dinge.

Schon seit November läuft ein Testbetrieb in BER. Lohnt sich der Aufwand? Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schiefläuft, ist doch wohl relativ gering.

Sagen Sie das nicht. In London ist es schon passiert, dass ein Flughafen in Betrieb ging, und die Mitarbeiter haben am ersten Arbeitstag ihre Parkplätze nicht gefunden. Das hat zu einer Kette von Verspätungen und Missgeschicken geführt, die im Chaos endeten. Im Testbetrieb werden alle Abläufe und denkbaren Szenarien durchgespielt. Sechs Monate lang üben Komparsen und Mitarbeiter des Flughafens, die Systeme werden getestet.

Haben Sie schon alle 10.000 Komparsen?

Das ging ganz schnell. Wir haben sogar 18.000, die Warteliste ist lang. Ende Januar kommen die ersten, jeder konnte sich für zwei Termine eintragen.

Hat Sie das öffentliche Interesse überrascht?

Na ja, Berlin ist schon ein Sonderfall, wegen der zwei bestehenden Flughäfen, und weil es die Hauptstadt ist. Solche Großereignisse locken aber auch grundsätzlich Menschen an, das war in München vor 20 Jahren auch so. Ich habe eigentlich nur in Moskau erlebt, dass wir weitgehend unbemerkt gearbeitet haben, dieses Desinteresse war bemerkenswert. Dafür war in Moskau die Kommunikation mit den Behörden ungleich schwieriger als hier.

Im Moment ist BER eine riesige Baustelle. Wird bis Januar alles so weit fertig, dass man da etwas testen kann?

Natürlich ist das eine Baustelle, aber trotzdem funktioniert schon einiges. Check-in-Schalter und Gates stehen zur Verfügung, Anzeigetafeln sind einsatzbereit. Wichtig ist uns ja aber vor allem, mit den Menschen zu üben - Mitarbeiter von Fluggesellschaften, Bodenpersonal, Zoll, potenzielle Fluggäste. Das Gebäude ist sehr groß, mit viel Technik drin. Es geht darum, das neue Gebäude zu übernehmen.

Was, wenn der Flughafen nicht rechtzeitig fertig wird?

Es ist alles auf diesen Termin ausgelegt. Der Flughafen muss fertig werden. Irgendwann kann man das Rad ja nicht mehr zurückdrehen.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Wird BER rechtzeitig fertig?

Ich glaube das, ja.

Hat Sie die Verschiebung damals kalt erwischt?

Das war schon eine Überraschung. Zum Glück waren unsere Planungen noch nicht so weit, dass der verschobene Zeitpunkt zum Problem wurde.

Sie sind als Vertreter des Münchner Flughafens angeheuert worden, weil der Umzug von Riem ins Erdinger Moos vor 20 Jahren als beispielhaft galt. Was haben die Münchner so gut gemacht damals?

Sie waren vor allem Pioniere. Es war der erste Flughafenumzug über Nacht, quasi bei laufendem Betrieb. Die Entfernung war noch größer als zwischen Tegel und BER, fast 50 Kilometer. Der Flughafen hatte ein großes Projektteam, um den technischen und geografischen Sprung zu schaffen. Es lief alles wie am Schnürchen. Kurz darauf meldete sich der Flughafen in Kuala Lumpur mit der Bitte um Unterstützung. So hat sich aus der Situation heraus ein Beratungsgeschäft entwickelt. Wir haben fast 30 Projekte weltweit gemeistert - Moskau, Bangkok, einige Flughäfen in Indien. Jedes Mal muss man sich auf eine neue Mentalität, eine neue Kultur, neue Voraussetzungen einstellen.

Was ist denn der Schlüssel zum Erfolg?

Die Beteiligten müssen genau über den Flughafen Bescheid wissen, ihn bis ins Detail kennen. Ich beispielsweise lebe seit zweieinhalb Jahren in Berlin, um den Umzug vorzubereiten.

Und was machen Sie am 3. Juni?

Irgendwann schlafen gehen. Das Projekt wird für mich Ende Juni abgeschlossen sein, dann kommt eine neue Herausforderung, anderswo.

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