■ Nachschlag: Szenen über die Hausfrau: Theater Zentrifuge zeigt "Die Rigorose"
Das kleine Mädchen lebt in einem alten Koffer. Ab und zu wird sie von Dienstboten abgestaubt. Zu Hause exekutiert sie Puppen, auf dem Markt vergräbt sie fasziniert das Gesicht in einer blutigen Fleischerschürze. Die Mutter hat die Erziehung der unbändigen Tochter längst aufgegeben, als diese ins heiratsfähige Alter kommt. Nach drei Jahren Pause meldet sich das Theater Zentrifuge mit dem grotesken Bilderreigen „Die Rigorose“ zurück. Das Stück basiert auf Paola Masinos Roman „Leben und Tod der Hausfrau“ von 1939, der mit schriller Märchen-Symbolik ein Frauenleben von trauriger Gewöhnlichkeit schildert, eine Geschichte von Selbstbeschränkung und Selbstverlust. Die namenlose „Hausfrau“ (Claudia Maria Franck) ist eine wahre Bärenhäuterin, umhüllt von sechs Schmutzschichten. Mit Grausen wendet sich die Parade der Freier von ihr ab, vom Kavallerieoffizier bis hinab zum Bettler. Da gibt sie den Bitten der Mutter nach. Die Reinigung dauert sechs Schöpfungstage. Rhythmisch schwingt das Ensemble ein riesiges weißes Laken, das die Hausfrau einhüllt, hebt und bedeckt, während sie die geliebten Lumpen Stück für Stück ablegt. Die zeremonielle Häutung, nach der die Hausfrau reinweiß und fertig für den Debütantinnenball dasteht, ist eine der besten Szenen der an suggestiven Bildern wahrlich nicht armen Inszenierung.
Das Theater Zentrifuge – gegründet 1969 als eine der ersten Off- Theatergruppen Berlins – hat als Pantomimen-Labor angefangen. Noch heute ist es am besten, wo es nur stumme Bilder sprechen läßt. Wenn die Hausfrau dem hölzernen Gatten und den 16 täglichen Pflichten (darunter „Pflanzenpflege, Wohltätigkeit und eheliches Zwiegespräch“) entflohen ist und eine Doppelgängerin ihres früheren rauhen Selbst trifft, schrammt das gestelzte Zwiegespräch der Frauen haarscharf am Kitsch vorbei. Nicht nur diese Szene hat Überlänge; es hätte dem Stück gutgetan, wenn die Regisseurin Martha Hölters-Freier aus der Fülle der guten Ideen nur die besten ausgewählt hätte.
Im Mussolini-Staat mutiert die Hausfrau durch rigorose Selbstverleugnung zum nationalen Ideal. Unvergeßlich ist ihr makabres Ende: Noch als Gespenst staubt die Hausfrau eifrig das eigene Mausoleum ab – und sehnt sich vergeblich nach dem schmutzigen Koffer ihrer Kindheit. Miriam Hoffmeyer
Bis 3. 6, täglich, 20 Uhr, im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg
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