Syrischer Autor über Hafterfahrungen: "Die Syrer geben wirklich alles"
Der Kampf für Freiheit, die Angst, das Gefängnis: Der syrische Autor Mohammad al-Attar dokumentiert die Gegenwart und lässt Menschen von Gewalt berichten.
Wann überwinden Menschen ihre Angst und nehmen den Kampf auf, auch wenn das ihren Tod bedeuten kann? Das ist die Frage, die Mohammad al-Attar seit Jahren bewegt.
Auch das neue Stück des Theaterautors aus Damaskus "Can You Please Look into the Camera?" dreht sich um Gewalterfahrungen. Menschen, die vor und während der Revolution in syrischen Gefängnissen einsaßen, erzählen von ihrer Haft.
taz: Herr al-Attar, waren Sie bei den Protesten dabei?
Mohammad al-Attar: In Damaskus ist es ja insgesamt eher ruhig. Aber als die Revolution im letzten März anfing, hörte ich in den Nachrichten, das in bestimmten Gegend offenbar etwas passiert. Da bin ich sofort hingefahren. Einfach aus Neugierde. Meine erste Frage war: Wie schaffen es die Leute, die Angstbarriere zu überwinden und auf die Straße zu gehen?
Wie schaffen sie es?
studierte in Damaskus Literatur, Theaterwissenschaft und Pädagogik. Sein Stück "Withdrawl" wurde in London, New York, Tunis, Beirut und anderen Städten aufgeführt.
Die Angst bleibt immer. Trotzdem gibt es diese Erleichterung, diesen Glücksmoment, endlich herausschreien zu können, was man denkt und woran man glaubt. Auf einmal fühlt man sich stärker und als Teil von etwas, wozu man immer gehören wollte. Für einen Moment fühlt man sich frei. Das ist der Antrieb.
Gilt das weiter, obwohl Präsident al-Assad die Protestierenden systematisch töten lässt?
Ja, denn die Leute haben keinen Zweifel daran, dass sie für die richtige Sache kämpfen. Die Revolution in Syrien ist keine Hungerrevolte. Es geht darum, die eigene Würde wiederzuerlangen. Es ist ein Freiheitskampf. Jedem ist klar, dass die Syrer einen hohen Preis bezahlen müssen, um sich zu befreien, einen sehr hohen. Jetzt aufzuhören würde bedeuteten, einen unermesslichen Preis zu zahlen. Es gibt schlicht keinen Weg zurück.
Ihr neuestes Stück heißt "Bitte schau in die Kamera".
Ich hab schon in den Jahren zuvor begonnen, mit Häftlingen zu sprechen, vor allem auf dem Land. Aus ihren Berichten, aber auch aus Erinnerungen von Leuten, die im letzten Jahr ins Gefängnis kamen, habe ich Figuren geformt, die von der Gewalt und der Folter in syrischen Gefängnissen erzählen.
Sie wollen den Opfern eine Stimme geben?
Zunächst einmal geht es darum, was die Betroffenen denken, was sie verändert hat und wie sie sich verändert haben. Auf der zweiten Ebene frage ich: Wie dokumentiere ich etwas, während die Gewalt weitergeht? Was bedeutet Dokumentation, wenn jede Übersicht fehlt, wenn es keine Zahlen gibt, wenn man mittendrin ist im Strudel der Gewalt?
Wie antworten Sie?
Indem ich meine ganze Verwirrung in den Text gebe. Das ist zwar ein bisschen egoistisch, aber als Künstler bin ich natürlich davon überzeugt, dass ein Text, der auf mehreren Ebenen spielt, besser vermittelt, was los ist, als ein Schnappschuss.
Inzwischen hat al-Assad die Kontrolle über die Bilder verloren, es dringen immer mehr Videos und Fotos nach außen. Hilft das Ihrer Arbeit?
Nicht unbedingt. Ich bin in den letzten Monaten viel gereist. Immer wieder fiel mir auf, wie stark die Leute außerhalb von Syrien durch die Bilder der ägyptischen Revolution beeinflusst sind. Der Tahrirplatz ist das Modell für die Arabische Revolution geworden. Das ist extrem ungerecht, denn die Leute in Syrien würden sich auch gerne zu Zigtausenden auf einem großen Platz versammeln, mit Sängern, mit Teeständen, mit Hochzeiten. Doch das geht in Syrien nicht. Das Regime ist viel zu brutal.
Die Leute hier wenden sich ab, weil ihnen die Bilder zu blutig sind?
So kommt es mir vor. Es gibt inzwischen eine Art Wettbewerb: Wer macht die hübscheste Revolution? Da haben die Syrer echt keine Chance. Dabei tun sie, was sie können. Sie geben wirklich alles.
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