Syrische Redakteurin über Militäreinsatz: „Jetzt ist unsere Angst noch größer“
Schaltet Assads Luftwaffe aus und helft den Flüchtlingen. Den Rest bekommen wir selbst hin. Das sagt eine Redakteurin der größten Oppositionszeitung in Syrien.
“Enab Baladi“ (“Einheimische Trauben“) ist die größte Oppositionzeitung innerhalb Syriens. Die Zeitung erscheint wöchentlich, sowohl als Printausgabe – hauptsächlich in Daraya – als auch per PDF online, und wird teilweise ins Englische übersetzt. Jede Ausgabe umfasst zwischen 10 und 15 Seiten. Behandelt werden Themen wie die aktuelle (Sicherheits-)Lage in Daraya sowie in Syrien ingesamt, geopolitische Fragen und die internationalen Haltungen zu Syrien, Wirtschaftsthemen, aber auch Informationen zu Internetsicherheit: Wie entgehe ich einer Verhaftung? Seit 2013 erscheint eine wöchentliche Ausgabe speziell für Kinder.
taz: Wie ist heute die Lage bei Ihnen, im Südwesten von Damaskus?
Aasma* (Redakteurin): Genauso schlecht wie seit Monaten, da hat sich nichts groß verändert. Nur, dass wir jetzt auch noch große Angst vor dem bevorstehenden Militärschlag haben. Die meisten hier sind damit beschäftigt, Lebensmittel zu organisieren. Wir wissen ja nicht, wie die Situation in ein paar Tagen sein wird.
Sie lehnen den Militärschlag ab?
Wir fänden es gut, wenn das Assad-Regime ausgeschaltet würde. Das würde uns helfen. Aber wenn es bei der angekündigten „Bestrafung“ bleibt, dann bringt uns das nichts. Im Gegenteil: Assad wird seine Vergeltungsattacken ja nicht gegen die USA richten, sondern gegen uns. Das heißt, wir müssen damit rechnen, dass es noch schlimmer wird. Was immer das bedeuten mag.
Was würde Ihnen helfen?
Wenn Assads Luftwaffe getroffen würde.
Es gibt Stimmen, die fordern, dass die Nato oder wie immer das westliche Militärbündnis genau aussehen wird, nicht nur Assad bekämpfen müsste, sondern auch die vielen Al-Quaida-Leute, die inzwischen in Syrien kämpfen. Die wären ein mindestens so großes Problem wie das Regime.
Ja, aber man muss hier unterscheiden. Mit den Al-Quaida-Kämpfern müssen wir Syrer selbst fertig werden. Und wenn Assad uns nicht mehr von der Luft aus bombardieren kann, dann schaffen wir das auch.
Nicht dass die USA eine Entsendung erwägen würden, aber auch Sie lehnen Bodentruppen ab?
Absolut. Die Revolution ist eine Angelegenheit der Syrer. Wir wollen keine ausländischen Bodentruppen, auf keinen Fall. Die Amerikaner sind hier nicht willkommen.
Ist das jetzt Ihre Meinung beziehungsweise die der jungen AktivistInnen oder denken viele Leute so?
Die meisten hier wollen keine Amerikaner im Land haben. Aber wissen Sie, das Problem ist doch, dass das, was wir wollen oder brauchen, für den Westen überhaupt keine Rolle spielt. Deshalb sind wir ja jetzt auch so skeptisch. Wenn der Westen uns wirklich helfen wollte, dann könnte er zumindest die Sicherheit und Versorgung der Flüchtlinge garantieren. Aber noch nicht einmal das tut er.
Inzwischen sollen zwischen sechs und sieben Millionen Syrer auf der Flucht sein.
Ja, und auch im Moment versuchen wieder viele, das Land zu verlassen, bevor die USA angreifen.
Sie aber bleiben?
Ja, wir bleiben.
Können Sie Ihre Zeitungsarbeit unter den gegenwärtigen Bedingungen überhaupt noch aufrecht erhalten?
Schon. Als wir 2012 Enab Baladi gegründet haben, mussten wir noch im Untergrund arbeiten, da die oppositionelle Presse in Syrien massiv verfolgt wird. Mittlerweile hat die Opposition Teile von Daraya erobert, andere stehen unter der Kontrolle des Regimes. Die Lage ist also kompliziert. Wir publizieren vor allem online. Unsere Facebookseite hat mittlerweile mehr als 26.000 Follower. Trotzdem versuchen wir, ein Mal pro Woche auch eine Printzeitung herauszugeben, die wir dann umsonst verteilen. Auflage 900 Stück. Aber im Moment gelingt uns das nicht jede Woche.
Das Redaktionsteam setzt sich aus StudentInnen zusammen?
Die meisten ja. Wir sind zwischen 20 und 35 Jahre alt, Männer und Frauen gemischt.
Wie finanzieren Sie sich?
Wir arbeiten alle ohne Bezahlung, die Autoren genauso wie die Redakteure. Aber wir werden von Leuten vor Ort unterstützt.
* Aus Sicherheitsgründen wurde der Name geändert.
Anmerkung der Redaktion: Der Kontakt kam mithilfe von Adopt a Revolution zustande. Der Verein sammelt Spenden, um in Syren zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterstützen, darunter auch den Aufbau von „Enab Baladi“.
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