Syrien-Tagebuch Folge 7: Ein Volk klebt vor dem Fernseher

Am 30. März 2011 hält Präsident Assad seine erste Rede seit Beginn der Proteste gegen sein Regime. Viele werden enttäuscht.

Assad vor Beginn seiner Rede im Parlament am 30. März 2011. Bild: reuters

Dr. Amer Ghrawi studierte Politikwissenschaften an der Universität Potsdam und arbeitet für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Berlin.

Ende März 2011 flog ich nach Damaskus, um einen Workshop für die GIZ in einem syrischen Ministerium zu leiten. Damals fanden die ersten friedlichen Proteste statt, bei denen schon Dutzende Demonstranten vom Regime erschossen worden waren. Ich erinnere mich noch genau an meine Ankunft am Flughafen. Als ich in die hässlichen Gesichter der Geheimdienstleute blickte, fühlte ich zum ersten Mal keine Erniedrigung mehr, sondern Stolz. Ich war stolz, dass meine Landsleute die Mauer der Angst eingerissen hatten. Wir waren keine Sklaven mehr.

Meine Familie gehört zum sunnitischen Bürgertum von Damaskus. Im Vergleich zu früher ging es uns unter Baschar al-Assad gut, denn er hatte das Land wirtschaftlich geöffnet. Die meisten meiner Verwandten waren deshalb anfangs gegen die Proteste, sie hatten Angst vor Instabilität und wollten in Ruhe Geld verdienen. Politische Mitbestimmung interessierte sie nicht.

Ich und andere jüngere Familienmitglieder sahen das anders. Ich hatte von 2007 bis 2009 für die GIZ als Berater des Vizepremierministers für Wirtschaft gearbeitet. Damals wurde mir klar, dass es in Syrien keine Regierung gab, sondern nur Mafiastrukturen. Und dass es unmöglich war, dieses System von innen zu reformieren.

Die Abteilungsleiterin fängt an, zu weinen

Wir saßen also in diesem Workshop, als bekannt wurde, dass Assad am 30. März eine Rede vor dem Parlament halten würde. Sein erster Auftritt nach Ausbruch der Proteste, alle warteten gespannt auf seine Reaktion. Die Assad-loyalen Teilnehmer des Workshops wollten frei haben, aber wir einigten uns darauf, die Rede in unserem Hotel gemeinsam im Fernsehen zu verfolgen. Es war unerträglich. Assad sprach von einer ausländischen Verschwörung und bewaffneten Terroristen, er fand kein Wort des Mitgefühls für die Opfer, sondern lächelte die ganze Zeit nur dumm – das widerte mich am meisten an.

Nach fünf Minuten fing die Abteilungsleiterin des Ministeriums an, zu weinen. Sie war total enttäuscht und wusste, dass es keine Hoffnung auf eine friedliche Einigung mehr gab. Ich bat sie, zu ihrem Schutz nach Hause zu gehen. Einige Mitarbeiter warteten nur darauf, Assad-kritische Reaktionen dem Geheimdienst zu melden. Als Assad eine Gehaltserhöhung von monatlich drei Dollar für Beamte verkündete, klatschten diese Teilnehmer begeistert. Ich war wütend. Glaubte Baschar wirklich, er könnte die Syrer so billig kaufen?

Wir hatten einen Schweizer Gutachter bei uns, dem die Rede übersetzt wurde. Aber als ein Parlamentarier gegen Ende der Rede aufstand und rief, Syrien sei zu klein für einen Führer wie Baschar, er sollte die ganze Welt regieren, bat ich die Übersetzerin, das nicht ins Englische zu übertragen – es war zu peinlich. An dem Tag wussten wir, dass es keinen Weg zurück gab und es sehr blutig werden würde. Assad hatte die Richtung vorgegeben: Gewalt, Gewalt und noch mehr Gewalt.

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