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Sympathy for the devil

Gothic Spukhaus statt White Cube: Für seine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz hat der schottische Künstler Douglas Gordon ein romantisches Schauermärchen in Szene gesetzt. Langsame Videobilder schieben schreckensstarre Körper ineinander

von HARALD FRICKE

Martin Walser steht im Raum, schaut sich um und sieht nichts. Jedenfalls keine Kunst, nur eine alte Druckerpresse. Das könnte den Schriftsteller vielleicht noch freuen, von Kollege zu Kollege. Doch der Künstler, dessen handgeschriebene Aufzeichnungen diese Maschine Seite für Seite zusammenpresst, ist nicht zur Eröffnung gekommen. Man sagt, wegen einer kaputten Bandscheibe. Nun liegt Douglas Gordon im Krankenhaus und wartet aufs Messer. „Das kommt davon, wenn man sich mit dem Teufel einlässt“, hatte er noch am Abend zuvor gescherzt, als das linke Bein schon halb taub war.

Trotzdem ist Gordon im Kunsthaus Bregenz so präsent wie selten zuvor in einer seiner Ausstellungen. Erst sollte es eine Mischung werden aus älteren Videos und Installationen. Dann hat er sich im späten Herbst das Gebäude noch einmal angeschaut und umdisponiert. Drei neue Arbeiten, für jedes Stockwerk eine, zur Jahreswende hergestellt als Audio-, Video- und Schriftexperiment. Für einen solchen Schnellschuss braucht es nicht nur Selbstbewusstsein, sondern gehörigen Mut – auch von Seiten der Institution, die jetzt dem Publikum erklären muss, dass die Heidelberger „KORD“-Druckmaschine aus dem Jahr 1968, an der im ersten Stock täglich von 14 bis 18 Uhr Buchseiten produziert werden, Teil eines Work in Progress ist.

Dabei gibt es das Buch, das in Bregenz nach der handschriftlichen Vorlage von Gordon entsteht, doch längst schon. Es heißt „Confessions of a justified sinner“, der Schotte James Hogg, ein dichtender Schäfer, hat es geschrieben, 1824 ist der Roman in einem Londoner Verlag erschienen. Später wurde der „gerechte Sünder“, der sich bei Hogg durch alle Schichten der Gesellschaft mordet, zur Bibel für die Surrealisten. André Gide schwärmte in seinem Vorwort der amerikanischen Ausgabe 1959 vor allem von den detaillierten Darstellungen bei Hogg: „Seine Art, das Grauen hart und nüchtern von allen Seiten her zu behandeln, ist völlig einmalig.“

Das Grauen wird von Robert Wringhim verkörpert, der als Sohn eines Pfarrers die Bekanntschaft mit dem Teufel macht. Der Dämon erscheint ihm als einziger wahrer Freund in einer tief religiösen Umgebung, die nur Schuld und Verzicht kennt. Robert blüht auf, verliert aber die Kontrolle über seine Taten. Schon findet man die ersten Leichen, als selbst Roberts Mutter umgebracht wird, flüchtet er zu einem Bauern und entschließt sich zum Selbstmord, weil er auch im Exil noch vom Teufel aufgespürt wird.

Die Geschichte ist ein romantisches Schauermärchen und sehr kompliziert. Nie weiß man genau, ob wirklich Robert tötet oder nicht doch der Teufel, der leicht seine Gestalt annehmen kann. Einmal begegnen sie sich auf einer Anhöhe im Nebel, wobei sich ihre Schatten ineinander schieben und Robert keinen Unterschied erkennen kann. Für Gide ist deshalb alle Hogg’sche Teufelei ein Zeichen dafür, was passiert, wenn sich die dunkle Seite unserer Psyche auslebt.

Für Douglas Gordon ist Robert Wringhim das perfekte Alter Ego: der Künstler als Besessener, der seine Obsessionen bändigt, indem er sie darstellt. Man mag dabei an die Rollenspiele von Marilyn Manson denken, der sich in seinem Rockstardasein zum Antichrist stilisiert. In Bregenz nimmt man solche Eskapaden ernst: Während der Ausstellung gibt es einen Workshop über Satanismus. Daran dürfte auch Gordon seinen Spaß haben, unbedingt.

Aber auch sonst hat der 1997er-Turnerpreisträger aus Glasgow dem Kunsthaus Bregenz einige Mühe gemacht. Das von Peter Zumthor mit geschliffenem Glas verkleidete Gebäude, das wie ein Zuckerwürfel über den Bodensee strahlt, wurde von innen komplett schwarz verhängt. Statt der gewünschten Transparenz dominiert das Museum jetzt eine Ansammlung aus Dunkelkammern: kein White Cube, sondern Gothic Spukhaus, in dem der zweite Stock mit Schwarzlichtröhren und Trennwänden in ein begehbares Pentagramm umgebaut wurde.

Dazu liest der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier den Hogg-Text in deutscher Übersetzung vor, sieben Stunden lang. Zwischen Satzfetzen, die wie Geisterstimmen durch die Architektur hallen, irrt man im Setting umher und fühlt sich der Figur des Robert ähnlich, von dem es heißt, er würde sich manchmal selbst bei seinem Treiben fasziniert zuschauen, ohne zu verstehen, was da vor sich geht. Nur die vielen Toten sind ihm unangenehm.

Im dritten Stock hat Gordon das Zusammentreffen von Robert und dem Teufel, von Künstler und Wahn oder Ich und Es zu einem einstündigen Video verdichtet. Wieder erzeugt die Situation einiges Unbehagen: Auf der quer durch den Raum gespannten Leinwand sieht man die Kamera aus zwei Perspektiven gleichzeitig um einen erschreckt starr stehenden Schauspieler kreisen. Gordon nutzt die Verschiebung, die sich aus dem Blickwechsel ergibt, montiert die Körper übereinander, lässt sie driften oder wie in einem Kuss verschmelzen. Die Überlagerung dünnt das Volumen der Körper aus, löst die Figur in Schemen auf: Das gefilmte Bild mutiert zur geisterhaften Erscheinung.

Dass ein solcher digitaler Zaubertrick Gefahr läuft, in der zähen Langsamkeit zur selbstverliebten Stilübung abzugleiten, ist auch Gordon wohl bekannt. Doch die Trägheit der Bewegungen ist genau auf den Larger-than-Life-Effekt eingemessen – auf einem Fernsehmonitor würde man vermutlich schnell vorspulen. So aber bleiben die reduzierten Images in der gleichen Spannung wie in der Geschichte von Hoggs. Für Gide war es ohnehin die Verkörperung der nach außen projizierten Entwicklung „unserer eigenen Wünsche“. Diesen Zustand hat Gordon in Szene gesetzt. Vom Alter zum allgemeinen Ego ist es bei ihm nur ein kurzer Weg.

Bis 19. 4., Kunsthaus Bregenz

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