Symbolik des Apfels im Film: Zwischenmahlzeit der Zwielichtigen

Bösewichte in Filmen und Serien essen Äpfel, dass es nur so spritzt und kracht. Aber warum? Beim Schurkenapfel geht es um die Symbolik.

Zwei Beißzangen mit aufgeklebten Augen „essen“ einen grünen Apfel

Knurps, knurps Foto: photocase/margie

Draco Malfoy ist ein Schurke, das ist unschwer zu erkennen. Das zeigen seine nach hinten gegelten weißblonden Haare oder die Art, wie er Harry Potters Namen mehr ausspuckt als ausspricht. Schon im ersten Teil der Fantasy-Reihe steht fest: Hier haben wir unseren Antagonisten. Und doch schafft es Draco im dritten Film innerhalb von wenigen Sekunden, seinen Arschlochfaktor noch mal zu steigern.

In der Szene, in der der zottelig-gutmütige Halbriese Hagrid seine erste Unterrichtsstunde gibt, drängelt sich Blondie durch die Gruppe von Hogwarts-SchülerInnen nach vorn und beißt kräftig in einen grasgrünen Apfel. Schnitt. Diese Apfeleinstellung genügt, dass man noch mal mehr reinschlagen möchte in Dracos Schnöselgesicht.

Die Apfelszene passt so gut zu dem blassen Bösewicht, dass man ihm im sechsten Teil schon wieder einen Apfel in die Hand drückt. Aber warum diese Obsession mit Äpfeln? Könnte Draco nicht auch eine Möhre essen oder Essiggurken? Wohl kaum. In Filmen und Serien nämlich hat sich der Apfel als Lieblingssnack der Bösewichte etabliert. Draco Malfoy ist da bei Weitem nicht der Einzige.

Im Piraten-Fantasy-Franchise „Fluch der Karibik“ isst der Superschurke Käpt’n Barbossa so oft grüne Äpfel, dass sie innerhalb der Serie zu seinem Markenzeichen werden. Im zweiten Teil zeigt sogar die allerletzte Einstellung Barbossa, wie ihm die Brühe beim Biss in den Apfel das Kinn runterläuft. Und auch in der Fantasy-Serie „Game of Thrones“, bei der in Sachen Symbolik und Requisite nichts dem Zufall überlassen wird, schält sich der sadistische Psychopath Ramsay Bolton einen Apfel, den er nur kurz weglegt, um der loyalen Osha die Kehle durchzuschneiden.

Die Liste der prominenten Apfelesser geht weiter: Muskel- und Ekelpaket Leonidas in „300“, Bösewicht Ajax im diesjährigen Superhelden-Film „Deadpool“, Dr. House, seines Zeichens medizinisch genial und zwischenmenschlich miserabel, und weitere. Der Apfel ist als Zwischenmahlzeit der Zwielichtigen in Filmen und Serien außer Konkurrenz. Aber warum gerade der Apfel?

Der böse Apfel

Dieses gesunde, leckere und obendrein erschwingliche Obst, von dem Eltern wollen, dass ihre Kinder am liebsten ein halbes Dutzend pro Tag essen – zumindest aber „one a day“. Diese Frucht, die so sehr mit Lebensfreude und Wohlbefinden assoziiert wird, dass sie das Einzige ist, was Menschen in Zahn- und Haftcremewerbespots jemals zu essen kriegen. Dieses Powerfood voller Vitamine und Spurenelemente als Zeichen für das ultimative Böse?

Tatsächlich ist die Assoziation des Apfels mit gesundem Leben eine recht neue. Viel älter ist die Konnotation des Apfels mit dem Bösen, das sich in etwas scheinbar Gutem versteckt: Zuvorderst die Erbsünde, das ist der Apfel, an dem Eva im Paradies geknabbert und uns damit alle so richtig reingeritten hat – seitdem plagt uns die Last der Erkenntnis, wir müssen gebären und arbeiten und Gott hat uns nicht mehr lieb.

Auch die griechische Mythologie kennt den bösen Apfel: den Zankapfel, um den sich drei Göttinnen streiten, womit sie nicht weniger als den Trojanischen Krieg auslösen. Und dann ist da natürlich noch der vergiftete Schneewittchen-Apfel – kurzum: Das Baumobst hat sich in der westlichen Kulturgeschichte einen schlechten Ruf erarbeitet, den ein paar Jahrzehnte Kukident und Nahrungsmittelpyramiden nicht überdecken können.

„Die biblische Symbolik des Apfels in ihren unterschiedlichen Färbungen scheint im Kino bis heute konstant zu sein“, sagt Vinzenz Hediger, Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. „Filme greifen immer auf das kulturelle und das implizite Wissen des Publikums zurück.“ Wann das Ganze jedoch angefangen, wann der erste Bösewicht einen Apfel gegessen hat, kann Hediger nicht sagen. „Eine Filmgeschichtsschreibung, die für bestimmte Dinge ein ,erstes Mal' sucht, wird immer daran scheitern, dass in den Tiefen der Archive irgendwo ein Film lauert, in dem dasselbe schon etwas früher gemacht wird.“

In jedem Fall aber, befindet er, muss die Apfelesserei früh angefangen haben: In Fritz Langs „M“ von 1931 isst der Kindermörder Hans Beckert einen Apfel, als er auf der Straße ein kleines Mädchen sieht und ihn die gefährliche Lust überkommt. Damit kommt der Schurkenapfel schon in einer der ersten Tonfilmproduktionen der Kinogeschichte vor. Aber wozu überhaupt die ganze Symbolik?

Kontextwissen für den Zuschauer

Der Schurkenapfel ist ein Beispiel für eine Trope, ein wiederkehrendes filmisches Muster. Tropen tauchen in der Popkultur regelmäßig auf. Sie versorgen die ZuschauerIn mit Kontextwissen, und das zumeist unbemerkt. Beim genauen Hinschauen lassen sich Tropen aber identifizieren.

Eine andere berühmte Trope etwa ist die Brille. Brillentragende Figuren sind unscheinbare, gutherzige AußenseiterInnen, die allerhöchstens zum Sidekick taugen, keinesfalls aber zum Helden. Superman verwandelt sich mithilfe der Brille in den Normalo Clark Kent, und in Hässliches-Entlein-Geschichten wie „Eine wie keine“ oder „Plötzlich Prinzessin“ mausern sich die Protagonistinnen vom Mauerblümchen zur Schönheit, indem sie im Laufe des Films ihre Brille loswerden.

Während die Brillentrope allerdings in der Alltagswelt verankert ist – Brillenkinder werden tatsächlich häufig gehänselt –, kommt die Apfeltrope aus einer jahrtausendealten Bildsprache, die in Märchen und religiösen Mythen erhalten geblieben ist.

Durch Tropen lassen sich in kürzester Zeit Stimmungen erzeugen, die sonst mühsam und langwierig aufgebaut, oder allzu explizit durch Sprechzeilen erklärt werden müssten. Wer will schon von einer Figur hören: „Ich bin übrigens der Böse, man sollte mir auf keinen Fall trauen.“ Die ZuschauerInnen wollen selbst draufkommen – und die Requisite hilft ihnen dabei.

Tropen wie das Apfelessen sind kein Zufall, sondern sie werden von Filmemachern mehr oder weniger bewusst eingesetzt. Auf dem DVD-Kommentar zur „Star Trek“-Neuauflage von 2009 gibt Regisseur J. J. Abrams zu, dass er Chris Pine als James Kirk in einer Szene einen Apfel essen ließ, „weil er dann arrogant aussieht“.

Kein zurückhaltendes Obst

Kein Wunder: Der Apfel ist nicht gerade das zurückhaltendste Obst, das man in Gesellschaft essen kann. Er ist laut, wenn man reinbeißt, spritzt, und am Ende muss man noch das Gehäuse irgendwohin werfen. Ein höflicher, zurückhaltender Mensch würde deswegen wohl dreimal überlegen, wann er in einen Apfel beißt. Filmfiguren, die Äpfel essen, zeigen hingegen, dass ihnen egal ist, was die Umstehenden über sie denken. Dass ihretwegen gern jemand Apfelsabber abbekommen darf, während sie lautstark vor sich hin knurpsen.

Und so wird auch ab und zu den „Guten“ ein Apfel in die Hand gedrückt. In „Eine Frage der Ehre“ isst Tom Cruise’ Figur Daniel Kaffee zu Beginn des Films während einer wichtigen Besprechung einen Apfel. Kaffee wird sich im Laufe der Geschichte vom Zyniker zum moralischen Menschen entwickeln. Der Apfelgenuss zu Beginn stellt sicher, dass die Entwicklung als größtmögliche wahrgenommen wird.

Während also bei Käpt’n Barbossa, Draco Malfoy und Ramsay Bolton der Apfel das Schurkenhafte unterstreicht, dient er bei komplexeren Figuren dazu, deren Charakter nuancierter darzustellen. In jedem Fall aber ist der Apfel in der Filmsprache die eindeutige Chiffre für „Achtung, mit dem besser nicht anlegen!“.

In „Inglourious Basterds“ isst der von Christopher Waltz gespielte Superschurke Hans Landa übrigens einen Apfelstrudel. Ob das allerdings ein cleverer Hinweis auf die Schurken-Apfel-Trope ist, das weiß wohl nur Quentin Tarantino selbst.

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