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Swiadi, Swiadi, Swiadi

Swiad Gamsachurdia kämpft auf verlorenem Posten  ■ Aus Tiflis Wolfgang Gaul

„Swiadi“ rufen sie ihn in inniger Verehrung. Doch über den von seinen Anhängern unablässig skandierten Kosenamen des georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia macht in Tiflis auch eine Anekdote die Runde: Stolz trägt ein Georgier seiner Frau einen Hasen nach Hause. „Bereite ihn geschwind“, weist er sie an. Aber wie soll sie? Butter gibt es schon seit Monaten nicht mehr. Und Öl ist auf dem Markt nur zu horrenden Preisen zu bekommen. „Dann koche ihn doch nach dem bewährtem Rezept ohne Fett“, schlägt der Mann vor, aber auch Gas gibt es nicht mehr. „Und die elektrische Kochplatte nützt uns auch nichts“, wirft der Sohn ein, „weil sie heute morgen wieder den Strom abgedreht haben.“ „Verdammt, dann eben nicht!“, schleudert der Vater entnervt den Hasen zu Boden. Der prescht davon, hebt die Läufe und brüllt dankbar: „Swiadi, Swiadi!“

Georgiens Präsident Swiad Gamsachurdia, der sich in der Hauptstadt Tiflis mit seinen letzten Getreuen verschanzt hat, kämpft auf verlorenem Posten. Der Westen lehnt ihn seiner Menschenrechtsverletzungen wegen ab. Im eigenen Volk fehlt dem einst mit großer Mehrheit gewählten Staatsoberhaupt inzwischen weitgehend der Rückhalt. Zu viele groß angekündigte Vorhaben Gamsachurdias entpuppten sich schnell als hohle Phrasen: Den KGB hatte er zerschlagen, die Wirtschaft privatisieren, eine Bodenreform durchführen wollen. Umgesetzt wurden die groß angekündigten und über das Staatsfernsehen propagierten Pläne ebensowenig wie die versprochene Ausarbeitung einer neuen georgischen Verfassung. Dazu kamen praktische Probleme. Durch erheblichen Energiemangel verursacht, wird in manchen Stadtbezirken der Hauptstadt Tiflis der Strom tagsüber ganz abgeschaltet. Selbst im Prestigestadtteil Wake floß einen ganzen Monat lang nicht ein einziger Tropfen warmes Wasser aus den Leitungen. Selbst das staatliche Fernsehen sendet nur abends zwischen sechs und elf Uhr.

Der demokratische Weg Georgiens unter Gamsachurdia ist gescheitert. Die Stimmen, die seit November den Beitritt zur „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ fordern, hört man in Tiflis allerdings auch nicht gern. Psychologisch hätte dieser Schritt vor allem für die alte kaukasische Kultur des selbtsbewußten Volkes fatale Folgen: Der Beitritt käme einer Niederlage bei der Organisation der Freiheit gleich.

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