Supermarkt: Zum Shoppen verführt

Der ethisch korrekte Einkauf ist eine Kür: Düfte, Dudelmusik und Leuchtgemüse bestimmen die Wahl.

Na? Alles klar beim Großeinkauf? Bild: DPA

Appetit auf Garnelen? Moment. Ist der Fischer auch gut bezahlt worden? Hat das Meeresgetier jemand geschält, der eine Krankenversicherung hat? Stecken Antibiotika im rosigen Fleisch? Ein Blick auf die Verpackung - sie verrät nichts. Als Kunde haben Sie drei Möglichkeiten: Sie machen sich auf zu einer mehrwöchigen Recherche. Sie packen die Ware zurück ins Kühlregal. Oder ihnen sind die Antworten schnuppe. Mit der letzten Variante stünden Sie nicht allein.

Politisch korrekter Einkauf hört sich nämlich gut an, hat aber so seine Tücken. "Konsequent macht das niemand" sagt Konsumsoziologe Kai-Uwe Hellmann. Hellmann leitet das Institut für Konsum- und Markenforschung in Berlin. Grob wüssten die meisten Bescheid über die Verquickungen von Welthandel und Billiglöhnen, Energieverbrauch und Klimawandel, Chemie und Allergien. Nur mangele es an Informationen.

Es gibt zwar einige Bio- und Fair-Trade-Label. Ein Allround-Siegel für hohe Unternehmensverantwortung gibt es aber nicht, dass dem Käufer zeigt: Die Firma behandelt ihre Mitarbeiter fair und schont die Umwelt. Der Verbraucher durchschaut die Praktiken der meisten Konzerne wenig. Die Wirtschaft kennt die Schwächen der Kunden indes genau. Das macht es für Verbraucher noch schwieriger.

Konsumforscher beobachten ihn beim Einkauf. Was nimmt er mit, wann achtet er nicht auf den Preis? Sie befragen Psychologen. Händler beauftragen Designer. Sie arbeiten für den perfekten Supermarkt. In ihm soll jeder nur sehen, hören und riechen, was die Kauflust steigert.

Die Verführung beginnt, sobald jemand einen Laden betritt. Am Eingang das Obst und Gemüse: Die Tomaten, Äpfel und Orangen sind so ausgeleuchtet, dass sie knackig und appetitlich aussehen. Das Frische-Regal bremst den Kunden, der mit Schwung von der Straße reinkommt. Er verlangsamt seinen Schritt. Er wiegt dieses ab, packt jenes ein. Dann schlendert er durch die Gänge: Erst kommen Produkte fürs Frühstück, dann fürs Mittagessen und zuletzt fürs Abendbrot, am Ausgang Getränke.

Der Kunde wird "immer gegen den Uhrzeigersinn" durch den Laden geschickt , sagt der Bonner Psychologe Harald Ackerschott. Denn der Mensch drehe seine Runden am liebsten nach links. Warum, sei unklar. Sportler machten das im Stadion aber auch. Ackerschott gehört zu denen, die Händler beraten.

Teure Schokolade liegt am bestens rechts neben der billigen. Denn der Blick des Menschen wandert zumeist von links nach rechts und bleibt dort stehen. Der Kunde greift dann zu - die Hand ist schneller als der Kopf. Schnaps geht gut, wenn er gegenüber der Fleischtheke steht. Ackerschott sagt: "Eigentlich liegt der Alkohol immer woanders." Doch nehme man schnell auch die "Verdauungshilfe" mit, wenn sie einem beim Kauf des Bratens ins Auge fiele.

Kunden werden an die Regale gelockt - auch mit Düften. Es riecht nach Erdbeeren, obwohl die Früchte eingeschweißt sind. Der Geruch von Brötchen macht Appetit, selbst wenn es im Laden keinen Ofen gibt. "Düfte steigern den Umsatz bis zu zehn Prozent", meint Hans Voit. Seine Münchener Firma Voitino Duftmarketing sorge in "Wein-, Süßwaren- oder Kaffeeabteilungen hunderter Supermärkte" für Wohlgeruch. Namen nennt er keine.

Dazu gibt es Musik. In 8.500 deutschen Geschäften funkt P.O.S Medien via Satellit ein Programm, das die "Kaufentscheidung des Kunden lenken" soll. Die Kieler Firma bezeichnet sich als "Deutschlands Nr. 1 der Instore-Radios", also der Einkaufsradios. Mitarbeiter Arnim Thiele erklärt: "Wir stimmen die Musik ab - etwa auf Einkaufszeiten von Rentern, Schülern oder Hausfrauen." Wie das genau funktioniert, verrät er nicht. Mal ist die Musik jedenfalls poppiger, mal ruhiger. Und zwischendurch gibt es natürlich auch Werbung.

Die Beschallung sei in "mehrstufigen Verkaufsräumen besonders wichtig", sagt Psychologe Ackerschott. An Rolltreppen würden "Klangstopps eingebaut". Es wird leiser oder lauter, damit der Kunde irritiert ist, den Kopf hebt und neugierig wird auf die obere Etage. Das System der Verführung ist ausgeklügelt. Im Jargon von Ackerschott: "Der Kunde ist ein Routinewesen auf seinen Trampelpfaden. Er orientiert sich durch Verunsicherung - wird verstört oder verlockt." Besonders anfällig für Kaufanreize seien Männer. "Geht ein Mann einkaufen, ist der Kühlschrank schnell überfüllt." Er packe Sonderangebote ein, die er gar nicht brauche. Frauen gingen "professioneller vor", meint Ackerschott. Nicht alle Verbraucher lassen sich gleich verführen.

Immerhin gibt es Anzeichen für einen neuen Trend: Im vergangenen Jahr kauften die Deutschen für 121 Millionen Euro fair gehandelten Kaffee, Bananen oder Tee. Sie gaben damit gut 20 Prozent mehr für die Waren aus als 2005. Das Label bekommen Produkte nur, wenn sich die Hersteller verpflichten, Mindestlöhne zu zahlen oder Gewerkschaften zuzulassen - ein Anfang.

Doch seit Discounter wie Lidl die Waren listen, gibt es schon wieder Unmut. Das Knifflige: Das Fair-Trade-Siegel bezieht sich nur auf Plantagen oder Farmen, über die Händler sagt es nichts. Die Gewerkschaft Ver.di wirft Lidl aber zum Beispiel miserable Arbeitsbedingungen vor. Wer auf die Idee kommt, beim Discounter selbst nachzuhaken, bekommt kaum Auskunft. Er gibt selten Informationen preis.

Die Geheimniskrämerei ist alltäglich. Das zeigen Erfahrungen der Stiftung Warentest. Seit zwei Jahren nimmt sie sich sowohl zusätzlich zur Qualität der Ware auch das Verantwortungsbewusstsein der Hersteller vor. Das Ergebnis bei Garnelen: Die Firma Eismann gewinnt in der Qualität. Im Ethiktest verweigert sie aber jede Auskunft, genauso wie Aldi Nord, Edeka und die Firma Omega. Derweil sagte Designer Hugo Boss nichts zu seinen Hemden. Dafür stuften die Tester Peek & Cloppenburg als "stark engagiert" ein. Sie hatten das "Gilberto"-Hemd für 20 Euro geprüft. Warentester Holger Brackemann: "Bewusstes Einkaufen muss nicht teurer sein."

Die Informationen sind hilfreich, aber selten: Bislang gibt es gerade mal sieben dieser Ethiktests. Es ist aufwändig, die Fabriken in aller Welt zu inspizieren. Darum verschicken die Tester oft auch nur Fragebögen. Ob die Antworten stimmen, stellen auch sie nicht sicher.

Mancher mag sich die Jutetasche zurückwünschen, mit der man in den Achtzigerjahren ganz leicht zum Ausdruck brachte: Ich schone die Umwelt und tue etwas für die Ärmsten. Aber Moment. War das stinkige Ding wirklich ökologisch und ethisch korrekt?

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